Antonovka-Kinderhaus in Cherson

Lou Andreas Salome und Friedrich Nietzsche in Tautenburg 1882

Lou Andreas-Salomé an Paul Rée über Nietzsche: Tautenburg,14 August 1882

 

„Es plaudert sich ungemein schön mit N – doch das wirst Du besser wissen. Aber ein besonderer Reiz liegt im Zusammentreffen gleicher Gedanken, gleicher Empfindungen und Ideen, man kann sich beinah mit halben Worten verständigen. Einmal sagte er, davon frappirt: »Ich glaube, der einzige Unterschied zwischen uns ist der des Alters. Wir haben gleich gelebt und gleich gedacht.«

 

„In N.’s Charakter liegt ein Heldenzug und dieser ist das Wesentliche an ihm, das, was allen seinen Eigenschaften und Trieben das Gepräge und die zusammenhaltende Einheit giebt. – Wir erleben es noch, daß er als der Verkündiger einer neuen Religion auftritt und dann wird es eine solche sein, welche Helden zu ihren Jüngern wirbt. Wie sehr gleich denken und empfinden wir darüber und wie nehmen wir uns die Worte und Gedanken förmlich von den Lippen. Wir sprechen uns diese 3 Wochen förmlich todt und sonderbarer Weise hält er es jetzt plötzlich aus circa 10 Stunden täglich zu verplaudern. ... Seltsam, daß wir unwillkürlich mit unsern Gesprächen in die Abgründe gerathen, an jene schwindligen Stellen, wohin man wohl einmal einsam geklettert ist um in die Tiefe zu schauen. Wir haben stets die Gemsenstiegen gewählt und wenn uns jemand zugehört hätte, er würde geglaubt haben, zwei Teufel unterhielten sich.“

 

Aus: Friedrich Nietzsche, Paul Rée, Lou von Salomé, Die Dokumente ihrer Begegnung, hg. v. E. Pfeiffer, Insel Verlag Frankfurt 1970 S. 181-190

sich selber steuern - der Wille zur Macht

»Du sollst Herr über dich werden, Herr auch über die eigenen Tugenden. Früher waren sie deine Herren; aber sie dürfen nur deine Werkzeuge neben andren Werkzeugen sein. Du solltest Gewalt über dein Für und Wider bekommen und es verstehen lernen, sie aus und wieder einzuhängen je nach deinem höheren Zwecke.« F. Nietzsche

 

 

Also sprach Homo Sapiens – der Mensch ist etwas, der sich überwindet.

Manchmal weiß man nicht, was man tun soll, gerade in den nicht einfachen Fragen und Herausforderungen des Lebens. Manchmal weiß man auch nicht, warum man etwas so macht und sich fragt, wie konnte ich mich nur so entscheiden? Wodurch sind wir bestimmt, durch was sind wir geprägt, entscheiden wir alles überlegt oder bewusst? Und es gibt es Situationen, da tun wir etwas einfach so, bedenkenlos. Wir sind doch Individuen, mit unserer jeweils eigenen Geschichte, durch sie geformt mit einem biografischen Kern. Vielleicht auch bestimmt durch Archetypen wie Animus und Anima u.a., wie C.G Jung denkt, wie Hermann Hesse es im „Narziß und Goldmund“ deutlich und feinfühlend zur Anschauung bringt oder durch unser Unbewusstes, wie S. Freud es konstruiert, welches den wesentlichen Einfluss auf unser Denken und Verhalten hat.

Wodurch sind wir bestimmt, wodurch werden wir bestimmt? Sind wir noch autonome Wesen, durch unsere Geschichte gelenkt oder durch Geschichten gelenkt, die durch unser sich erinnerndes Selbst (Harari) selbst erfunden werden. Oder sind wir mit unserem inneren System und Denken schon Bestandteil oder Element eines riesigen weltweiten Netzwerks, das unsere Eigenheiten auch im tiefsten Inneren, deren Algorithmen, unser Handeln entschlüsselt und nutzt? Oder sind wir auf dem Weg dahin?

 

Ich mag Peter und Paul, was soll ich tun?

„Und Google wird antworten: «Nun, ich kenne dich vom Tag deiner Geburt an. Ich habe all deine E-Mails gelesen und all deine Telefongespräche aufgezeichnet, ich kenne deine Lieblingsfilme, deine DNA und die gesamte Geschichte deines Herzens. Ich verfüge über genaue Daten zu jeder Verabredung, die du hattest, und wenn du willst, kann ich dir sekundengenau zeigen, welchen Puls, welchen Blutdruck und welchen Blutzuckerspiegel du hattest, wenn du dich mit Peter oder Paul getroffen hast. Wenn nötig, kann ich dir sogar eine genaue mathematische Rangliste aller Sexual-kontakte liefern, die du mit ihnen hattest. Und selbstverständlich kenne ich die beiden genauso gut wie dich. Auf der Grundlage all dieser Informationen, meiner großartigen Algorithmen und umfassender Statistiken über Millionen von Beziehungen rate ich dir, dich an Peter zu halten, denn die Wahrscheinlichkeit, dass du auf lange Sicht mit ihm zufrieden sein wirst, liegt bei 87 Prozent.

 

Tatsächlich kenne ich dich sogar so gut, dass ich weiß, dass dir diese Antwort nicht gefallen wird. Paul ist viel hübscher als Peter, und weil du auf Äußerlichkeiten viel zu großen Wert legst, wolltest du insgeheim, dass ich sage: “Paul“. Natürlich spielt das Aussehen eine Rolle, aber nicht so sehr, wie du glaubst. Deine biochemischen Algorithmen - die sich vor Zehntausenden von Jahren in der afrikanischen Savanne entwickelten - messen dem Aussehen bei der Gesamteinschätzung potenzieller Partner einen Anteil von 35 Prozent zu. Meine Algorithmen - die auf den allerneuesten Studien und Statistiken beruhen - sagen, dass das Aussehen nur einen Anteil von 14 Prozent am langfristigen Gelingen von Liebesbeziehungen hat. Selbst wenn ich also das Aussehen von Paul berücksichtige, muss ich dir dennoch sagen, dass du mit Peter besser dran wärst.“

 

 

(aus: Yuval Noah Harari, Homo Deus, 2019, S.518)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Eckehard Zühlke)

Es gibt so vieles, für was man Zeuge ist, ansonsten geht zu viel verloren. Erinnerungen an die Marie A.

Erinnerung an die Marie A.


An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.


Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiss, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: ich küsste es dereinst.


Und auch den Kuss, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

 

 

B. Brecht

„Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt."

 

 

Wir lesen viel, beide, und haben so immer intensiven Gesprächsstoff, sind aber auch gedankenversunken bei uns, nah am Empfinden und Verstehen wollen. Es gibt so viele Fragen an uns und an jeden für sich, auch aus der Literatur. Vieles bleibt in Bewegung und offen, manches wird klarer und wir haben das Empfinden, dass das Fragen und das Verstehen wollen, so wie Heidegger es formuliert, „die Frömmigkeit des Denkens“ sein könnte.

 

Wir haben die letzten Wochen viel über Lassalle und Sophie von Hatzfeld gelesen, über deren Zeit (19. Jahrhundert) und Erleben mit revolutionären Vorstellungen und Taten gesprochen, auch über die widerwärtigen Machtstrukturen gerade in gehobenen Schichten. Frauen und Männer in ihren machtvollen erbärmlichen Abhängigkeiten. Was hat sich getan? Lassalle, ein ungewöhnlich kluger Kopf, wortgewandt, hat mich sehr fasziniert und mich zu Heraklit in die vorsokratische Zeit geführt.  Lassalle selbst hat viel von ihm gelernt, insbesondere sich nicht unterkriegen zu lassen. Ich bin inzwischen gefesselt von Heraklits Gedanken der Bewegung schaffenden widersprüchlichen Gemeinsamkeiten. Alles ist im Fluss…Panta Rhei…und das im 6. Jahrhundert vor Christus. Das er als Vegetarier die Wassersucht bekommt und sich dann in seinem Stall zur Heilung unter einem Misthaufen eingräbt, auf Gesundung hofft, aber daran letztlich stirbt, hat mich etwas irritiert. Ich habe inzwischen viele Vorlesungen über ihn, seinen Logos und die Ursprungsgedanken zum Feuer gehört. Mich faszinieren seine Gedanken zur Verbindung von Widersprüchen, die alles in Bewegung halten. Alles fließt, Panta Rhei.

Namibia - Bootstour in der Bucht von Walvis Bay

Nächstenliebe auf Chinesisch am Beispiel vom Hua Ren Social Work Development Center (成都市锦江区华仁社会工作发展中心), Chengdu

 

 

 Im Kontext des Besuchs der Leitung des Ev. Fröbelseminars an der Sichuan Universität im April 2014 hatten wir Kontakt zur Professor Wei Zhang (Soziale Arbeit) und zu Professor Yan (Kindheitspädagogik).

Unser besonderes Interesse galt zunächst den Ausbildungsgängen für Sozial- und Kindheitspädagogik der Sichuan Universität und zu prüfen, ob ein Austausch von Dozenten und Studierenden möglich ist. Im Vorfeld des Besuchs fanden vielfältige Absprachen mit dem IJAB (Fachstelle für den internationalen Jugend- und Fachkräfteaustausch) und den beteiligten Personen aus Chengdu und Kassel statt. Es wurde ein Programm für den Besuch in Chengdu verabredet, das neben dem universitären Ausbildungsgängen auch einen Einblick in die sozialpädagogische Praxis gewährt. So lernten wir neben einem Kindergarten, einer integrativen Grundschule auch das Hua Ren Social Work Development Center in Chengdu kennen und konnten über eine Besichtigung und Teilnahme an Gesprächskreisen eine hochinteressante vermutlich einmaliges nicht-staatliches Praxismodell für die Begleitung von Familie und Kindern inklusive Beratung von Fachkräften kennenlernen. Im Januar 2013 gründete Professorin Wie Zhang mit ihrem Mann, Ximing Chen, das Chengdu Hua Ren Entwicklungszentrum für Soziale Arbeit. Das Wort „Hua“ bedeutet „chinesisch“, „Ren“ bedeutet „Nächstenliebe“. „Ich will mit dem Entwicklungszentrum für Soziale Arbeit den geeigneten Weg finden, chinesische Nächstenliebe in der Praxis umzusetzen“, sagte Frau Zhang in einem Gespräch.

„Es sollen vor allem die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und der Familien im Vordergrund gestellt werden. Wenn man in China von Erziehung spricht, denkt man nur an die Schulbildung. Die Eltern, Kinder und Lehrer sind viel zu sehr auf die Schulleistungen fokussiert und der Leistungsdruck der Kinder ist hoch.“ Oft wissen die Eltern nicht, wie sie mit dem Druck von Seiten der Lehrer umgehen sollen und geben diesen weiter an die Kinder. Dieser Teufelskreis verursacht viele Familienprobleme. „Ich will die Sozialpädagogik als dritte Erziehungs- und Bildungsinstitution neben Familienerziehung und Schulpädagogik in China etablieren und aufbauen, um die Sozialisierungsfunktion der Familien zu ergänzen und zu unterstützen. Also die Lücke der Sozialpädagogik in China füllen“, so Zhang. Das erscheint mir als eine historisch bedeutsame Pionierarbeit auf dem Gebiet der sozialen Arbeit in China. Die Einrichtung wird aus privaten Mitteln der Gründer finanziert. Unsere Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel, hat bei ihrem Besuch im Sommer 2014 diese Einrichtung ebenfalls besucht, ohne dass dieses Ereignis besonders in der Öffentlichkeit erwähnt wurde. Ich sehe im Besuch von Frau Merkel eine hohe Anerkennung einer ausgewöhnlich kompetenten, notwendigen und engagierten Arbeit des gesamten Teams des Hua Ren Development Centers. Herr Chen sagt zu seinen Motiven für das soziale Engagement, das „die Familienerziehung in China sehr schwach ausgeprägt ist oder ganz fehlt.“ Dieses Problem ist nach seiner Auffassung sehr groß und wenig transparent und zeigt sich beispielsweise in negativen Entwicklungen für Kinder, schwierigen Familienbeziehungen und letztlich der Stabilität in der Familie.

An den Kindern werden oft die Probleme einer Familie deutlich. Es sind aber nicht die Probleme des Kindes, sondern das Kind „präsentiert“ es. „Wir nehmen das gezeigte Problem als Ausgangspunkt für unsere Arbeit und als Zugang zur ganzen Familie“ führt er aus. „Wir wollen die Konzepte und die Praxis der Sozialpädagogik mit chinesischen Verhältnissen, Kultur und Denk- und Verhaltensmerkmalen verknüpfen, erproben und erforschen. Frau Zhang möchte mit Praxisforschungsansätzen ihre gewählten Ansätze der sozialen Arbeit erforschen und ihr ist auch wichtig, dass die sozialen Dienstleitungen für Kinder und Familien kostenlos bleiben. Für ihre Studierenden aus dem Bachelor und Masterstudiengang der Sichuan Universität bieten sich im Hua Ren Development Center auch gute Praktikumsplätze. Ihr ist aber auch bewusst, dass noch einige Brücken zu bauen sind. Gerade auch zur Regierung und Verwaltung und zur Hochschule. Sie möchte über dieses Modell auch eine Plattform für einen Fachaustausch auf nationaler und internationaler Ebene ermöglichen. Was wird nun im Hua Ren Entwicklung Zentrum tatsächlich gemacht und welche Ziele und Methoden sind wichtig? Ausgangspunkt der sozialen Arbeit ist die Familie. Kinder zeigen oft Schul- oder Leistungsprobleme, die oftmals im Kontext von Familien entstehen. Die dortigen Beziehungen zwischen den Eltern, oder Eltern und Kind sowie zu anderen Subsystemen bedingen den psychosozialen Zustand des Kindes. Es ist eine sozialökologischer Verstehenshintergrund. Die theoretische Grundlage für diesen Ansatz legte in den 1980er Jahren der Entwicklungspsychologe und Sozialökologe Urie Bronfenbrenner. Er geht von der Annahme aus, dass sich die menschliche Entwicklung vom Individuum selbstbestimmt und eigenaktiv in einem ständigen Auseinandersetzungsprozess mit seiner Umgebung vollzieht. In Vortragsveranstaltungen in Schulen oder auch auf Elternabenden wird dieser Ansatz den betroffenen Eltern vermittelt. Ebenso werden die Studierenden mit diesem sozialpädagogischen Ansatz im Studium vertraut gemacht, so dass sie ihre Praktika kompetent in der Einrichtung mit praktischen Erfahrungen bereichert durchführen können. Die Masterstudenten lernen zusätzlich Konzepte der Familienberatung und Gesprächsführung und können schon aktiv und selbständig allerdings an Supervision gebunden im Familienzentrum mitwirken. Neben der Beratung von Familien gibt es außerschulische Erziehung und Hausaufgabenhilfe, Bewegungserziehung, Eltern- und Kindergruppen.

Die Familiengruppen sind besonders wichtig. Hier wird an konkreten Situationen gearbeitet und gemeinsame Lösungen entwickelt. Ansätze und Methoden der systemischen Familienberatung werden hier angewandt. Letztlich kommt es darauf an, die Kinder und deren Familien selbstbewusster zu machen und die konstruktiven Potentiale zu stärken. Beispiele: Eine Patchwork-Familie: Frau H., 36 Jahre alt, hat in der ersten Ehe einen Sohn geboren und nach der Scheidung wiedergeheiratet. In der zweiten Ehe bekam sie eine Tochter. Der Sohn ist heute 11 Jahre alt. Die Mutter sucht im Hua Ren um Hilfe wegen folgender “Probleme” ihres Sohns: schlechte Schulleistungen, kann sich nicht konzentrieren beim Lernen, kein Selbstbewusstsein. Er macht sich sehr von Mutter abhängig. Die Mutter und ihr Sohn haben 3 Angebote von Hua Ren in Anspruch genommen. Zunächst besuchen sie einen Abendkurs für die Kinder (Verhaltenserziehung inkl. Hausaufgabenhilfe) von Montag bis Freitag jeweils abends für 2 Stunden. Die Mutter arbeitet dort ehrenamtlich.

Weiterhin nahmen sie an einer Familiengruppe einmal in der Woche teil, in der es um Klärung, Aufarbeitung und Reflexion der Mutter-Kind-Beziehung und deren Kommunikation ging. Die Beziehung sollte verbessert werden, so dass eine zunehmend tragfähige Bindung zwischen Kind und Mutter sich wieder herstellen. Schließlich nahm der Sohn an der Kindergruppe (jeden Samstag) teil. Bachelorstudenten übernehmen diese Arbeit. Hier sollen über z.B. Sport- und Spielaktivitäten Selbstbewusstsein und soziale Kompetenzen der Kinder gestärkt werden beispielsweise. Nach einem halben Jahr, so die Mutter, hat sich viel geändert in ihrer Wahrnehmung des Jungen, vor allem durch die Selbstreflexion. Die Mutter meint, dass die „Wand zwischen den Beiden“ verschwunden ist und sie jetzt herzlich dem Kind zuhören kann und seine Gefühle wahrnimmt und fühlt sich erheblich erleichtert. Das Kind ist fröhlicher und selbstbewusster. Am Beispiel einer Wanderarbeiterfamilie: Die Eltern kommen vom Land und leben seit einigen Jahren in Chengdu. Sie haben 2 Kinder: einen Sohn, 8 Jahre alt und eine Tochter von 6 Jahren. Der Vater hat im Hua Ren Beratung wegen Verhaltensauffälligkeiten seines Sohnes gesucht: Er bringt keine guten Noten nach Hause und hat kein Selbstbewusstsein. Der Berater von Hua Ren hat Einzel-, Paargespräche geführt und auch mit dem Kind gesprochen. Der Berater hat erfahren, dass der Vater häufig seinen Sohn beschimpft und auch geschlagen hat und zwar auch dann, wenn er selbst schlechte Laune hatte oder die“ Geschäfte nicht gut liefen“. Er selbst wurde in der Kindheit oft von seinen Eltern geschlagen. Er sagt seinem Sohn oft, dass die Familie vom Land kommt, er fleißig lernen sollte, damit er als ländlicher Mensch nicht niedrig angesehen wird. Hua Ren hat diese Familie folgendermaßen begleitet: Die Familie wurde intensiv beraten. Auch wurden Ratschläge für eine gewaltfreie Erziehung gegeben. Das Kind hat am Verhaltenserziehungskurs teilgenommen. Ein Berater (ein Masterstudent) hat eine enge Beziehung zu der Familie aufgebaut und das Kind oft zu einer Buchhandlung begleitet, um Literatur zum Lesen zu besorgen. Das Kind malt auch gerne. Der Berater hat für das Kind eine eigene Bilderausstellung im Hua Ren organisiert, um seine Stärke zu stärken und sein Selbstbewusstsein zu steigern. Eines Tages hat das Kind hat zum ersten Mal die beste Note in seiner Klasse und die Eltern sind sehr überrascht und dankbar. Das Kind ist fröhlich und glücklich darüber geworden. Sein Vater hat gelernt, dass über Gewalt nichts zu erreichen und will seinen Sohn nie wieder schlagen.

Die Lebenswelten von Familien in China sind sehr komplex und im Wandel begriffen. Diese zu verstehen und die Auswirkungen auf Kinder zu erfassen verlangt eine umfassende Betrachtung. Familien sind herausgefordert durch:

- Durch einen starken Modernisierungsschub in Wirtschaft und Technik, aber auch im Alltagsleben (Medienwelten),

 - diese Entwicklung ist regional sehr unterschiedlich und differenziert sich nach Regionen und Stadt und Land;

- die traditionelle Bedeutung der Familie (Konfuzius) und ein modernes Zusammenleben sind nicht immer passend;

- der Einfluss der Medienwelten ist stark, insbesondere bei der jungen Generation;

- die Arbeitssituation von Frauen und Männern hat sich verändert. In China gibt es über 200 Millionen Wanderarbeiter,

- die Betreuung und Erziehung von Kindernsind gesellschaftlich gut geregelt. Kindergärten, Vorschule sind vorhanden und auch zunehmend integrative Schulen. Fachkräfte dafür haben einen guten Bildungsstand. Wie steht es mit der Erziehung in der Familie?

- Die Familienpolitik hat sich ab 2003 von der Ein-Kind-Familie abgekehrt. In bestimmten Familienkonstellationen sind mehrere Kinder möglich.

- Die Mehrgenerationenfamilie gibt es zunehmend weniger. Was passiert mit alten Menschen? Wie gehen Jung und Alt zusammen?

- U.v.m.

Es gibt im Kontext von „Sozialer Arbeit“ bezogen auf die Lebenswelten von Familien noch viele offene Fragen, die speziell erforscht und untersucht werden müssten. Die Forschung in der Sozialen Arbeit scheint mir wichtig zu sein um Erklärungen zu finden, um letztlich Begleit- und Unterstützungsansätze für Familien und Kinder zu entwickeln, die in chinesische Verhältnisse passen. Aus meiner Sicht ist gerade deswegen der direkte Bezug der Sichuan Universität zum Hua Ren Development Center von besonderer Bedeutung und beispielhaft. Das Evangelische Fröbelseminar möchte den Kontakt nach China ausbauen, vertiefen und vor allem durch gemeinsame Fachtagungen und Begegnungen die Arbeit vom Hua Ren Development Center unterstützen. Dazu können Fachdozenten aus China zu uns nach Kassel und Korbach kommen, unser Familienzentrum und unsere Fachausbildungen kennenlernen. Im Ev. Fröbelseminar gibt es viele Fachdozenten mit sozialpädagogischen, supervisorischen, familientherapeutischen und psychotherapeutischen Kompetenzen, die zu Fachgesprächen gern bereit sind. In unserem Forschungsverbund mit der Universität Kassel könnten Ansätze von qualitativer Praxisforschung kennengelernt werden und geprüft werden, inwieweit diese für Forschungsfragen im Hua Ren Development Center sich eignen. Aus unserem Hause können Dozenten und Studierende in China eine engagierte „Soziale Arbeit“ im Gemeinwesen kennenlernen und interkulturelle Kompetenz erwerben.

 

 

 

Klang sehen und Farben hören

Das laute manchmal schräge Gelb ist immer wieder in der Kunstszene diskutiert worden. Können sich Töne in Farben ausdrücken, lösen Farben akustische Eindrücke aus.

Wassily Kandinsky hat sich dafür stark gemacht und seine Werk "Der gelbe Klang" entstand (1912).  Nach einem Klavier-Konzert 1911 von Arnold Schönberg malte er das Bild Impressionen III und nahm brieflichen Kontakt zu Schönberg auf. Es entstand eine Freundschaft, die sich auch darin einig war, dass Kunst und Musik die vorgegebenen Strukturen verlassen müssen, um den eigentlichen tiefen Sinn von Farben und Tönen zur Geltung zur bringen. Es entstand "der gelbe Klang" und viele weitere Ideen zur farblichen musikalischen Struktur und Gestaltung. Ein Bühnenstück von Kandinsky, Hartmann und Mussorgsky "Bilder einer Ausstellung" wurde am Ende seiner Bauhauszeit inszeniert und aufgeführt. "Klang sehen und Farben hören".

Nach einer Wanderung durch Feld und Wiesen kam mir, am Rande eines Rapsfeldes in gelber Blüte, diese Geschichte in den Sinn (Bild oben).

Das Ideal des Kaputten

In meiner Studienzeit habe ich einige Monate auf Kreta gelebt. Und kann mich bis heute schwer von dem erfahrenen Lebensgefühl der Kreter distanzieren. Jedes Jahr muss ich dort mehrmals hin. In den 70iger Jahren war Kreta noch nicht wie heute großen Touristenströmen ausgeliefert. Die Menschen dort liebten ihre Insel, sie waren fleißig bemüht Geld zu verdienen und den wenigen Touristen ihre Lebensart nahezubringen. Stolze und auch kämpferische Menschen, die ihren Zusammenhalt auch in der Öffentlichkeit insbesondere den Tavernen und in den Familien lebten. Sie waren interessiert an uns langhaarigen Menschen mit der etwas ausgeflippten Musik. Sie machten auf mich einen glücklichen Eindruck, waren einladend und begeistert von ihrem Essen und ihrer Musik...der ursprüngliche Sirtaki wurde in den Dörfern gemeinschaftlich getanzt und wir durften mitmachen, gehörten dazu......Vieles war in den Straßen sehr altertümlich, die Straßen wenig gepflegt, kaputte Autos, Motoräder und Roller. Das landwirtschaftliche Gerät war altmodisch und überwiegend defekt, Müll lag überall herum. Die technischen Gräte war überwiegend selbst repariert, so fuhren die ältesten Autos, zwar mit Höllenlärm und Gestank, aber drinnen saß ein glücklicher Mensch. Irgendwie funktioniert auch im Hause alles nur, wenn man es selbst repariert hatte...und so war es gut.

("Das Ideal des Kaputten" ist ein Buchtitel von Alfred Sohn-Rethel, der 1924 bis 1927 in Neapel, auf Capri und Positano intensiv lebte. Beim Lesen gefiel mir seine Beschreibung des Lebens in Neapel so gut, dass ich diese Betrachtungsform der Porosität und Vielfalt für mich und meine Kreta-Erfahrungen übernommen haben.

Alfred Sohn-Rethel habe ich als Gastprofessor an der Universität Bremen gut kennenlernen können. In den teils nächtlichen Seminaren kamen nur hochinteressierte StudentInnen zusammen um philosophische Texte von Kant, Hegel und Marx intensiv zu lesen und zu erfassen. Ich wusste damals nicht, dass Alfred Sohn-Rethel die Neapelerfahrungen in der Form besaß, gern hätte ich mich mit ihm unterhalten, und seine Erfahrungen dort und meine auf Kreta diskutiert.

 

Auf Capri – das Cafe zum Kater Hiddigeigei oder wie die Porosität in die Philosophie kam

Walter Benjamin brauchte Ruhe, er wollte unbedingt seine Habilitationsschrift über das deutsche Trauerspiel anfertigen. Er hatte sich in intensiver Literaturrecherche schon in Deutschland 600 Zitate dafür herausgesucht und wollte nun alles aufschreiben. Viele Menschen in der Zeit, die wenig Geld, kritisch und abenteuerlustig waren, zogen nach Neapel, Capri, Positano und anderen Orten dort. Der Vesuv, die kaum zu verstehende Stadt Neapel, die Natur auf Capri, das Wasser, die Sonne und natürlich die Universität dort zogen an.

Walter Benjamin hatte sich auf Capri eingemietet, hatte wenig Geld und ging oft in des Cafe Zum Kater Hiddigeigei. Der Name des Cafes kommt aus der Literatur: Der Trompeter von Säckingen, Victor von Scheffel, 1854. Walter Benjamin kommt allerdings wenig zum Schreiben. Er verliebt sich leidenschaftlich in Asja Lacis, eine Theaterregisseurin, die in Berlin gewirkt hat und in Lettland wohnt (später auch mit B. Brecht zusammengearbeitet hat). Sie ist sehr marxistisch orientiert, klug  und in den ewig langen Nächten kommt es auch zu intensiven Gesprächen zwischen Beiden. Benjamin öffnet sich den marxistischen Gedanken und ordnet seine philosophischen Überlegungen neu. Sie fahren zwischendurch nach Neapel und treffen dort unter anderem Alfred Sohn-Rethel und Ernst Bloch. Dort erlebten sie eine Stadt und auch ein Verhalten der Menschen sehr umfassend und schrieben gemeinsam das Denkbild "Neapel". In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden. Man meidet das Definitive, Geprägte, keine Situation erscheint so, wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt behauptet ihr so und nicht anders.

Die Gesellschaft in Neapel ist weder altertümlich noch modern, beispielsweise der Eselskarren löst einen Autostau auf der Straßen aus, alt und neu, Improvisationskultur prägt das Geschehen. ...der Begriff der Porosität entsteht, er ist in der Lage das soziale Geschehen nachvollziehbar und untersuchbar zu machen, Übergänge werden verstehbar. Für Benjamins philosophische Gedanken wichtig; das angeblich Unwesentliche sollte nicht hinter dem Wesen verschwinden.

Die Formen des Lebens in Neapel werden als porös dargestellt. Martin Mittelmeier schreibt über Adorno in Neapel; “ wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt“. Nach Dieter Richter ist Porosität ein „Entwurf eines urbanistischen und geistigen Gegen­projekts zu den Entfremdungs­erscheinungen der Mo­derne: Durch­lässigkeit gegen Abgeschlossen­heit, Transparenz zwischen Öffentlichem und Privatem statt rigider Separation, Ver­mischung von Heiligem und Weltlichem statt kategorialer Trennungen.“

 

Der Zwischenkieferknochen

Goethe als Mediziner- die Entdeckung des „Os Intermaxillare“

 

Goethe hatte sich schon während seines Jurastudiums in Leipzig und Straßburg für Medizin interessiert und auch an Vorlesungen und praktischen Übungen insbesondere zur Anatomie teilgenommen und entdeckte (März 1784) dabei an einem Kinderschädel den Os Intermaxillare, den Zwischenkieferknochen. Für Goethe war nunmehr klar, dass der Mensch vom Tier abstammt, was in der damaligen Zeit der Aufklärung die Entwicklung zum Menschen weiter erhellte. Er diskutierte seine Erkenntnisse mit Friedrich Schiller, der auch Mediziner war und den Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt ab 1794 hauptsächlich in Jena, an der „aufgeklärten Universität“ (stark durch Fichte geprägt).

So schrieb er freudiger Befindlichkeit einen Brief an Gottfried Herder: "Ich habe gefunden weder Gold noch Silber, aber ... das os intermaxillare beim Menschen. Nun bitt‘ ich Dich, lass dich nichts merken, denn es muss geheim behandelt werden. Es soll Dich recht herzlich freuen, denn es ist wie ein Schlussstein zum Menschen." (Brief 27.4.1784)

 

In seiner "Abhandlung aus dem Knochenreiche" sagt es Goethe (1784) deutlich, "dass man ... den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts Einzelnem finden könne. Vielmehr ist der Mensch aufs nächste mit den Tieren verwandt."

Erotische Bewegtheit: Christiane und Johann Wolfgang


Johann Wolfgang Goethe soll nach seinen Italienreisen sinnlicher geworden sein. Seine bisherige enge Geliebte Charlotte meinte; er ist in Italien verdorben worden. Goethe selbst hielt seine neue Liebesbeziehung zu Christiane zunächst geheim. Sie trafen sich heimlich über den Hintereingang seines Hauses am Frauenplan. Christiane kam aus einer anderen Schicht, aber Goethe liebte sie mit ihren lockigen Haaren. Er zeichnete Sie mehrfach.  Dem Herzog hat er eine Mitteilung in dieser „Männersache“ gemacht, die entsprechend als Liebesgeschichte behandelt wurde. Ein Gedicht dazu aus Anfangszeit der Liebesbeziehung:


 

Der Besuch

 

Meine Liebste wollt ich heut' beschleichen,

Aber ihre Türe war verschlossen.

"Hab' ich doch den Schlüssel in der Tasche!

Öffn' ich leise die geliebte Türe! "

 

Auf dem Saale fand ich nicht das Mädchen,

Fand das Mädchen nicht in ihrer Stube.

Endlich, da ich leis' die Kammer öffne,

Find ich sie, gar zierlich eingeschlafen,

Angekleidet, auf dem Sofa liegen.

 

Bei der Arbeit war sie eingeschlafen;

Das Gestrickte mit den Nadeln ruhte

Zwischen den gefaltnen zarten Händen;

Und ich setzte mich an ihre Seite,

Ging bei mir zu Rat, ob ich sie weckte.

 

Da betrachtet' ich den schönen Frieden,

Der auf ihren Augenlidern ruhte:

Auf den Lippen war die stille Treue,

Auf den Wangen Lieblichkeit zu Hause,

Und die Unschuld eines guten Herzens

Regte sich im Busen hin und wieder.

Jedes ihrer Glieder lag gefällig,

Aufgelös't vom süßen Götterbalsam.

Freudig saß ich da, und die Betrachtung

Hielte die Begierde, sie zu wecken,

Mit geheimen Banden fest und fester.

 

"O du Liebe," dacht' ich, "kann der Schlummer,

Der Verräter jedes falschen Zuges,

Kann er dir nicht schaden, nichts entdecken,

Was des Freundes zarte Meinung störte?

 

"Deine holden Augen sind geschlossen,

Die mich offen schon allein bezaubern;

Es bewegen deine süßen Lippen

Weder sich zur Rede noch zum Kusse;

 

Aufgelöst sind diese Zauberbande

Deiner Arme, die mich sonst umschlingen,

Und die Hand, die reizende Gefährtin

Süßer Schmeicheleien, unbeweglich.

 

"Wär's ein Irrtum, wie ich von dir denke,

Wär es Selbstbetrug, wie ich dich liebe,

Müßt' ich's jetzt entdecken, da sich Amor

Ohne Binde neben mich gestellet."

 

Lange saß ich so und freute herzlich

Ihres Wertes mich und meiner Liebe;

Schlafend hatte sie mir so gefallen,

Daß ich mich nicht traute, sie zu wecken.

 

Leise leg' ich ihr zwei Pomeranzen

Und zwei Rosen auf das Tischchen nieder;

Sachte, sachte schleich' ich meiner Wege.

 

"Öffnet sie die Augen, meine Gute,

Gleich erblickt sie diese bunte Gabe,

Staunt, wie immer bei verschloßnen Türen

Dieses freundliche Geschenk sich finde.

 

"Seh' ich diese Nacht den Engel wieder,

O, wie freut sie sich, vergilt mir doppelt

 

Dieses Opfer meiner zarten Liebe!"

Die "schöne Seele" über Reinheit, Anmut und Grazie

Die "Schöne Seele" hat in der Frühromantik eine hohe Bedeutung in der Literatur und den philosophischen Debatten. Im Rückgriff auf Platon ist diese Idee von der Einheit des Guten, Wahren und Schönen eine wichtige Vorstellung vom Menschen in der Zeit. Insbesondere Friedrich Schiller setzt sich in seiner Schrift über "Anmut und Würde" damit auch in Abgrenzung zu Immanuel Kant und seiner Ethikpflicht auseinander. Auch Hegel kritisierte in der Phänomenologie des Geistes die Isoliertheit und die Grenzen der "Schönen Seele".

 

„In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung. Nur im Dienst einer schönen Seele kann die Natur zugleich Freiheit besitzen und ihre Form bewahren, da sie erstere unter der Herrschaft eines strengen Gemüts, letztere unter der Anarchie der Sinnlichkeit einbüßt. Eine schöne Seele gießt auch über eine Bildung, der es an architektonischer Schönheit mangelt, eine unwiderstehliche Grazie aus, und oft sieht man sie selbst über Gebrechen der Natur triumphieren. Alle Bewegungen, die von ihr ausgehen, werden leicht, sanft und dennoch belebt sein. Heiter und frei wird das Auge strahlen, und Empfindung wird in demselben glänzen. Von der Sanftmut des Herzens wird der Mund eine Grazie erhalten, die keine Verstellung erkünsteln kann. Keine Spannung wird in den Mienen, kein Zwang in den willkürlichen Bewegungen zu bemerken sein, denn die Seele weiß von keinem. Musik wird die Stimme sein und mit dem reinen Strom ihrer Modulationen das Herz bewegen. Die architektonische Schönheit kann Wohlgefallen, kann Bewunderung, kann Erstaunen erregen; aber nur die Anmuth wird hinreißen. Die Schönheit hat Anbeter; Liebhaber hat nur die Grazie; denn wir huldigen dem Schöpfer und lieben den Menschen.“

 

 

Aus: F. Schiller, Über Anmut und Würde  

"Sturm und Drang" oder Aufklärung

In Herders Fragmenten von 1767 steht: „in der Dichtkunst ist der Gedanke und Ausdruck wie Seele und Leib, und nie zu trennen.“ Die Fragmente gelten als der Beginn der Sturm und Drang Zeit und enden 1784 mit Schillers „Kabale und Liebe“ oder auch mit Goethes eilige incognito Reise nach Italien (1787). Die Autoren der Zeit waren relativ jung und erzählten über menschliche Erfahrungen und Gefühle mit Ungerechtigkeiten oder über Erfahrungen und Gefühle in Liebesbeziehungen (Leiden des jungen Werther). Sie schlossen sich in mehreren Orten zu Literaturkreisen zusammen. Mit Ihren Texten (überwiegend als Dramen verfasst) trafen sie auf eine große Resonanz, schockierten auch, aber setzten sich über die herrschende Moral hinweg. Der Name der Epoche stammt von Friedrich Maximilian Klinger und seinem Drama „Wirrwarr“, das später in „Sturm und Drang“ umbenannt wurde. Klinger war zu unterschiedlichen Zeiten auch mit Goethe im Kontakt. Es ging in der Zeit auch darum, wie im „Götz von Berlichingen“, die in manchen Fürstentümern dominierende herrische Gewalt aufzuzeigen. Spontanität und Gefühle waren von besonderer Bedeutung und wurde höher eingestuft als der Verstand. Man kam so über die Grenzen der bisher vorhandenen Erkenntnisse über das Menschsein und das Zusammenleben von Menschen hinweg. Man war näher bei sich.

 

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“

Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit außer dem, daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden. Besonders ist hierbei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter diese Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

 

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt; aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte; der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehen aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanism notwenig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonieren; sondern man muß gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonieren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu den er zum Teile als passives Glied angesetzt ist. [...]“

Baum des Lebens, Baum der Erkenntnis, Baum der Erleuchtung und..

Ich suche nach Gedanken, nach Anregungen und Beschreibungen, denn so ein Baum löst Nachdenklichkeit aus in einem. In vielen Religionen hat er eine besondere Bedeutung gewonnen, er soll im Paradies gestanden haben und zwar doppelt. Als Baum der Erkenntnis und als Baum des Lebens hat er eine Bedeutung. Er verbindet die Realität mit dem Himmel und ist in der Tiefe verankert. Darf man seine Früchte essen, darf man Erkenntnisse sammeln, hilft er Gut und Böse zu unterscheiden oder mehr? Oder erleuchtet er mich, wenn ich unter ihm sitze, und werde zum Buddha. In Japan hab ich gesehen, dass Menschen Bäume umarmen und Kraft aus ihnen wollen. Im Shintoismus wohnen die Götter im Baum, man bekommt intensiven Kontakt zu ihnen, insbesondere, wenn man vorher durch ein Torii in ein geweihtes Stück Land schreitet.

Friedrich Hölderlin "Hälfte des Lebens"

Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen geboren und starb im Juni 1843. Die Hälfte seines Lebens, ab 1806 war er psychisch krank, verwirrt. Er lebte im Tübinger Turm bei Ernst Zimmer.

Seine große Liebe (ab 1796 bis 1800, gestorben 1802) war Susette Contard, die allerdings verheiratet war und aus deren Haus er verwiesen wurde. Susette findet sich in seinem Werk „Hyperion“ als Diotima wieder.

 

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne;
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

 

Friedrich Hölderlin (1804)

 

Hyperion (letztes Kapitel)

 

Hyperion an Bellarmin

 

Ich wollte nun aus Deutschland wieder fort. Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt, von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, daß meine Seele vollends unter solchen Menschen sich verblute. Aber der himmlische Frühling hielt mich auf; er war die einzige Freude, die mir übrig war, er war ja meine letzte Liebe, wie konnt ich noch an andre Dinge denken und das Land verlassen, wo auch er war? Bellarmin! Ich hatt es nie so ganz erfahren, jenes alte feste Schicksalswort, daß eine neue Seligkeit dem Herzen aufgeht, wenn es aushält und die Mitternacht des Grams durchduldet, und daß, wie Nachtigallgesang im Dunkeln, göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied der Welt uns tönt. Denn, wie mit Genien, lebt ich itzt mit den blühenden Bäumen, und die klaren Bäche, die darunter flossen, säuselten, wie Götterstimmen, mir den Kummer aus dem Busen. Und so geschah mir überall, du Lieber! – wenn ich im Grase ruht, und zartes Leben mich umgrünte, wenn ich hinauf, wo wild die Rose um den Steinpfad wuchs, den warmen Hügel ging, auch wenn ich des Stroms Gestade, die luftigen umschifft' und alle die Inseln, die er zärtlich hegt. Und wenn ich oft des Morgens, wie die Kranken zum Heilquell, auf den Gipfel des Gebirgs stieg, durch die schlafenden Blumen, aber vom süßen Schlummer gesättiget, neben mir die lieben Vögel aus dem Busche flogen, im Zwielicht taumelnd und begierig nach dem Tag, und die regere Luft nun schon die Gebete der Täler, die Stimmen der Herde und die Töne der Morgenglocken herauftrug, und jetzt das hohe Licht, das göttlichheitre den gewohnten Pfad daherkam, die Erde bezaubernd mit unsterblichem Leben, daß ihr Herz erwarmt' und all ihre Kinder wieder sich fühlten – o wie der Mond, der noch am Himmel blieb, die Lust des Tags zu teilen, so stand ich Einsamer dann auch über den Ebnen und weinte Liebestränen zu den Ufern hinab und den glänzenden Gewässern und konnte lange das Auge nicht wenden. Oder des Abends, wenn ich fern ins Tal hinein geriet, zur Wiege des Quells, wo rings die dunkeln Eichhöhn mich umrauschten, mich, wie einen Heiligsterbenden, in ihren Frieden die Natur begrub, wenn nun die Erd ein Schatte war, und unsichtbares Leben durch die Zweige säuselte, durch die Gipfel, und über den Gipfeln still die Abendwolke stand, ein glänzend Gebirg, wovon herab zu mir des Himmels Strahlen, wie die Wasserbäche flossen, um den durstigen Wanderer zu tränken – O Sonne, o ihr Lüfte, rief ich dann, bei euch allein noch lebt mein Herz, wie unter Brüdern! So gab ich mehr und mehr der seligen Natur mich hin und fast zu endlos. Wär ich so gerne doch zum Kinde geworden, um ihr näher zu sein, hätt ich so gern doch weniger gewußt und wäre geworden, wie der reine Lichtstrahl, um ihr näher zu sein! o einen Augenblick in ihrem Frieden, ihrer Schöne mich zu fühlen, wie viel mehr galt es vor mir, als Jahre voll Gedanken, als alle Versuche der allesversuchenden Menschen! Wie Eis, zerschmolz, was ich gelernt, was ich getan im Leben, und alle Entwürfe der Jugend verhallten in mir; und o ihr Lieben, die ihr ferne seid, ihr Toten und ihr Lebenden, wie innig Eines waren wir! Einst saß ich fern im Feld, an einem Brunnen, im Schatten efeugrüner Felsen und überhängender Blütenbüsche. Es war der schönste Mittag, den ich kenne. Süße Lüfte wehten und in morgendlicher Frische glänzte noch das Land und still in seinem heimatlichen Aether lächelte das Licht. Die Menschen waren weggegangen, am häuslichen Tische von der Arbeit zu ruhn; allein war meine Liebe mit dem Frühling, und ein unbegreiflich Sehnen war in mir. Diotima, rief ich, wo bist du, o wo bist du? Und mir war, als hört ich Diotimas Stimme, die Stimme, die mich einst erheitert in den Tagen der Freude – Bei den Meinen, rief sie, bin ich, bei den Deinen, die der irre Menschengeist mißkennt! Ein sanfter Schrecken ergriff mich und mein Denken entschlummerte in mir. O liebes Wort aus heilgem Munde, rief ich, da ich wieder erwacht war, liebes Rätsel, faß ich dich? Und Einmal sah ich noch in die kalte Nacht der Menschen zurück und schauert und weinte vor Freuden, daß ich so selig war und Worte sprach ich, wie mir dünkt, aber sie waren, wie des Feuers Rauschen, wenn es auffliegt und die Asche hinter sich läßt –»O du, so dacht ich, mit deinen Göttern, Natur! ich hab ihn ausgeträumt, von Menschendingen den Traum und sage, nur du lebst, und was die Friedenslosen erzwungen, erdacht, es schmilzt, wie Perlen von Wachs, hinweg von deinen Flammen! Wie lang ists, daß sie dich entbehren? o wie lang ists, daß ihre Menge dich schilt, gemein nennt dich und deine Götter, die Lebendigen, die Seligstillen! Es fallen die Menschen, wie faule Früchte von dir, o laß sie untergehn, so kehren sie zu deiner Wurzel wieder, und ich, o Baum des Lebens, daß ich wieder grüne mit dir und deine Gipfel umatme mit all deinen knospenden Zweigen! friedlich und innig, denn alle wuchsen wir aus dem goldnen Samkorn herauf! Ihr Quellen der Erd! ihr Blumen! und ihr Wälder und ihr Adler und du brüderliches Licht! wie alt und neu ist unsere Liebe! – Frei sind wir, gleichen uns nicht ängstig von außen; wie sollte nicht wechseln die Weise des Lebens? wir lieben den Aether doch all und innigst im Innersten gleichen wir uns. Auch wir, auch wir sind nicht geschieden, Diotima, und die Tränen um dich verstehen es nicht. Lebendige Töne sind wir, stimmen zusammen in deinem Wohllaut, Natur! wer reißt den? wer mag die Liebenden scheiden? – O Seele! Seele! Schönheit der Welt! du unzerstörbare! du entzückende! mit deiner ewigen Jugend! du bist; was ist denn der Tod und alles Wehe der Menschen? – Ach! viel der leeren Worte haben die Wunderlichen gemacht. Geschiehet doch alles aus Lust, und endet doch alles mit Frieden. Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder. Es scheiden und kehren im Herzen die Adern und einiges, ewiges, glühendes Leben ist Alles.« So dacht ich. Nächstens mehr.

Warum hat Heinrich von Kleist sich das Leben genommen?

 

Es war im November 1811 am Kleinen Wannsee in Berlin als Henriette Vogel mit Kleist fröhlich und aktiv, sich neckend am Wannsee im Gasthof Stimming sich einquartierten und die Nacht durchmachten, laut plauderten, Abschiedsbriefe verfassten, um sich dann morgens (21.11.1811) nach dem Kaffee umzubringen. Sie wirkten eher wie ein Liebespaar. Kleist erschoss zuerst Henriette Vogel und dann sich selbst.

Waren Kleist und Henriette Vogel verrückt geworden? Hatten die Beiden die Idee, dass ein Leben nach dem Tod sie ins Paradies bringt und sie in einer gute Verbindung dort leben können? Henriette Vogel war an Krebs erkrankt, der ihr stark zusetzte und Kleist fand nicht den Weg in seinem Leben und aktuell wurden seine Stücke nicht gespielt, als Schriftsteller wurde er nicht verlegt, sein Zeitungsverlag war pleite und als Offizier in der königlichen Armee kam er nicht mehr an. Er wollte aus den vorhandenen Lebensformen heraus und wusste von Kant, dass die Wahrheit ("grüne Brille") relativ ist, aber er wollte zu Ruhm und Anerkennung kommen. Und nun hatte er auch kaum noch Geld sein Lebensunterhalt zu finanzieren. Er war gerade 34 Jahre alt. Auch sexuell wusste er nicht genau was er wollte oder was ihn ausmacht. Er war eine Zeit mit Wilhelmine von Zenge verlobt und hat feinfühlige Liebesbriefe und eigentümliche Abgrenzungen oder Ausreden formuliert.

1805 schreibt er an Ernst von Pfuel einen ungewöhnlichen Brief:

 

„ Du übst, du guter, lieber Junge, mit Deiner Beredsamkeit eine wunderliche Gewalt über mein Herz aus, und ob ich Dir gleich die ganze Einsicht in meinen Zustand selber gegeben habe, so rückst Du mir doch zuweilen mein Bild so nahe vor die Seele, daß ich darüber, wie vor der neuesten Erscheinung von der Welt, zusammenfahre. Ich werde jener feierlichen Nacht niemals vergessen, da Du mich in dem schlechtesten Loche von Frankreich auf eine wahrhaft erhabene Art, beinahe wie der Erzengel seinen gefallnen Bruder in der Messiade, ausgescholten hast. Warum kann ich Dich nicht mehr als meinen Meister verehren, o Du, den ich immer noch über alles liebe? - Wie flogen wir vor einem Jahre einander, in Dresden, in die Arme! Wie öffnete sich die Welt unermeßlich, gleich einer Rennbahn, vor unsern in der Begierde des Wettkampfs erzitternden Gemütern! Und nun liegen wir, übereinander gestürzt, mit unsern Blicken den Lauf zum Ziele vollendend, das uns nie so glänzend erschien, als jetzt, im Staube unsres Sturzes eingehüllt! Mein, m e i n    ist die Schuld, ich habe Dich verwickelt, ach, ich kann Dir dies nicht so sagen, wie ich es empfinde. - Was soll ich, liebster Pfuël, mit allen diesen Tränen anfangen? Ich möchte mir, zum Zeitvertreib, wie jener nackte König Richard, mit ihrem minutenweisen Falle eine Gruft aushöhlen, mich und Dich und unsern unendlichen Schmerz darin zu versenken. So umarmen wir uns nicht wieder! So nicht, wenn wir einst, von unserm Sturze erholt, denn wovon heilte der Mensch nicht! einander, auf Krücken, wieder begegnen. Damals liebten wir ineinander das Höchste in der Menschheit; denn wir liebten die ganze Ausbildung unsrer Naturen, ach! in ein paar glücklichen Anlagen, die sich eben entwickelten. Wir empfanden, ich wenigstens, den lieblichen Enthusiasmus der Freundschaft! Du stelltest das Zeitalter der Griechen in meinem Herzen wieder her, ich hätte bei Dir schlafen können, Du lieber Junge; so umarmte Dich meine ganze Seele! Ich habe Deinen schönen Leib oft, wenn Du in Thun vor meinen Augen in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. Ich hätte, wenn ich einer gewesen wäre, vielleicht die Idee eines Gottes durch ihn empfangen. Dein kleiner, krauser Kopf, einem feisten Halse aufgesetzt, zwei breite Schultern, ein nerviger Leib, das Ganze ein musterhaftes Bild der Stärke, als ob Du dem schönsten jungen Stier, der jemals dem Zeus geblutet, nachgebildet wärest. Mir ist die ganze Gesetzgebung des Lykurgus, und sein Begriff von der Liebe der Jünglinge, durch die Empfindung, die Du mir geweckt hast, klar geworden. Komm zu mir! Höre, ich will Dir was sagen. Ich habe mir diesen Altenstein lieb gewonnen, mir sind die Abfassung einiger Reskripte übertragen worden, ich zweifle nicht mehr, daß ich die ganze Probe, nach jeder vernünftigen Erwartung bestehen werde. Ich kann ein Differentiale finden, und einen Vers machen; sind das nicht die beiden Enden der menschlichen Fähigkeit? Man wird mich gewiß, und bald, und mit Gehalt anstellen, geh mit mir nach Anspach, und laß uns der süßen Freundschaft genießen. Laß mich mit allen diesen Kämpfen etwas erworben haben, das mir das Leben wenigstens erträglich macht. Du hast in Leipzig mit mir geteilt, oder hast es doch gewollt, welches gleichviel ist; nimm von mir ein Gleiches an! Ich heirate niemals, sei Du die Frau mir, die Kinder, und die Enkel! Geh nicht weiter auf dem Wege, den du betreten hast. Wirf Dich dem Schicksal nicht unter die Füße, es ist ungroßmütig, und zertritt Dich. Laß es an einem Opfer genug sein. Erhalte Dir die Ruinen Deiner Seele, sie sollen uns ewig mit Lust an die romantische Zeit unsres Lebens erinnern. Und wenn Dich einst ein guter Krieg ins Schlachtfeld ruft, Deiner Heimat, so geh, man wird Deinen Wert empfinden, wenn die Not drängt. - Nimm meinen Vorschlag an. Wenn Du dies nicht tust, so fühl ich, daß mich niemand auf der Welt liebt. Ich möchte Dir noch mehr sagen, aber es taugt nicht für das Briefformat. Adieu. Mündlich ein mehreres.

Berlin, den 7. Januar 1805

 

Heinrich v. Kleist.“

 

Es ist schon etwas eigenartig. Im Alltag haben das junge Pärchen, Juliane und Martin, immer wieder in den Urlauben, sei es in Japan, Australien nahe Perth oder Griechenland oder auch im Habichtswald kleine Landschaften, Orte, Paradise gefunden. Orte, die sich bei ihnen im Gedächtnis und der Seele eingebrannt haben, weil in den Orten die Natur eine wunderbare Harmonie und Ästhetik als Einladung präsentierte. Sie sprechen oft von ihren Eindrücken und sind sich einig, wie schön und wunderbar derartige Orte sind und, dass sie sehnsüchtig wieder dorthin möchten. Sie können kaum verstehen, das andere Leute von Einkaufsparadiesen sprechen oder von Urlaubsparadiesen mit eine animativen Hotelanlagen. Juliane und Martin beschäftigen sich, ausgelöst durch das Erleben an den Orten, mit Vorstellungen vom Paradies, fragen auch, ob man als Mensch überhaupt in der Lage ist oder darf, sich in die Gestaltung eines Paradieses zu begeben? Beide möchten auch ganz praktisch ein kleines Paradies in der Harmonie von Menschen und Natur selbst gestalten. Sie machen sich denkend und ganz praktisch mit Spaten, Harke und Schubkarre auf den Weg. „Morgen kommen abermals 2 große LKW mit Mutterboden. Wo sollen die hin?“ fragt Juliane.

Warum wurde der Mensch, so ein biblisches Bild, denn aus dem Paradies vertrieben? In der Folge musste der Mann hart arbeiten und die Frau sollte Schmerzen bei der Geburt der Kinder haben. Also ein echter Rauswurf mit Strafe für beide Geschlechter. Auf ewig? Von der Schlange im Paradies verführt, haben sie vom Baum der Erkenntnis gegessen und gesehen, dass sie nackt waren. Ab mit euch Adam und Eva, geht in die Welt, die Harmonie, die Nähe bei Gott in der wunderschönen Natur gibt es nicht mehr. Die Türen sind verschlossen und ein Cherub wacht der davor. „Gibt es kein schönes Paradies für uns?“ „Ist alles das, was wir hier praktisch machen sinnlos, nur weil einmal die beiden ersten Paradiesmenschen, sich zu Erkenntnissen verführen ließen.“

„Aber als Jesus ans Kreuz genagelt wurde,“ fragte Juliane, „da war das Paradies wieder offen?“ „Er sagte zu seinem ebenfalls ans Kreuz genagelten Nachbarn, der auch hingerichtet wurde, dass sie gleich bei Gott im Paradies sind. „Also erst nach dem Tod kommt man wieder zurück in den wunderschönen harmonischen Ort.“ „Können wir unter den Vorstellungen den überhaupt hier mit der Gestaltung unseres kleinen Paradieses rund ums Haus beginnen?“

„Ja, das gute harmonische Leben im Einklang von Menschen, Natur und Gott gibt es erst nach dem Tod“. „Ist das richtig?“, fragte Martin. Und was machen wir jetzt? Wir wollen doch unseren Paradiesgarten planen und gestalten, die fruchtbare Erde kommt morgen, wir müssen sie verteilen und die Pflanzen setzen.“ „Ich will jetzt schon etwas vom Paradies spüren.“

Oder hat unser Gott es nicht so gemeint und er wohnt unter uns (wie in Jerusalem) mit der paradiesischen Umgebung von Wasser, Pflanzen und Tieren und dem Baum des Lebens und Herausforderungen an den Glauben und Gott. Man kann erkennen, fragen und glauben, das Paradies ist offen, alles geht und Cherub steht nicht mehr am Eingang.

 

„Dann weiß ich jetzt, wo wir dien Mutterboden morgen verteilen und welche Blumen, Büsche und Bäume gepflanzt werden können, ich habe Lust dazu und freue mich schon.“  “Und, wenn es zu einer Verführung kommt? Dort hinten hat sich schon ein Igel eingenistet.“

Italienische Reisen mal anders

Vor und in dem "Cafe Greco" in Rom spielten sich eigenartige Szenen ab. Wir waren auf der Suche nach der Tochter des Wirts Agostino di Giovanni und fanden nur Faustina in Goethes "Italienische Reise". Sie war jung und sehr schön, und war verwitwet. Goethe liebte sie sehr...hat er ihr wirklich einen kunstvoll gestalteten Fächer über den Tisch gereicht und ihr damit seinen Wunsch nach einer Heirat präsentiert?

Immer wieder Kreta

Kreta hat schon was. Jedes Jahr entdecken wir neue Landschaften und geheimnisvolle Orte. Wir wandern viel an den Küsten entlang, entdecken eiskalte Gebirgsbäche, die ins gewärmte Mittelmehr fließen(Georgioupoli), den wunderschönen Strand in Suda, neben Plakias im Süden, oder den traumhaften Weg zu Schlucht zum Palmenstrand paralia preveli.

Die Touren waren anstrengend, die Straßen manchmal enger als unser Mietwagen, die Steigungen und das Ruckeln der Straßen setzten Fantasien frei.

Nächstes Mal bleiben wir länger, besuchen unsere Lieblingstaverne "Manoli" wieder und decken uns mit vielen Kräutern und Tees von Botano ein.

Nebenher gibt es engagierte Gespräche über die minoischen Ausgrabungsstätten an verschiedenen Orten, die vielen Fundstücke dort, die eigenartigen Rekonstruktionen, über die Hieroglyphen, die dort gefunden wurden und warum die Ausgräber Arthur Evans und Vater und Sohn Emile Gillieron fantasievolle Zuschreibungen in die Ausgrabungsfunde steckten? Warum konstruiert man eine alte Kultur nach eigenen Wünschen und Vorstellungen? Was prägte wirklich das gesellschaftliche Leben der Minoer?

Exzentrik

Hölderlin, Scheler, Kleist, Bloch, Plessner:

 

Der exzentrische Mensch oder warum es sich lohnt selbstreflexiv zu sein?

Für Hölderlin gab es eine höhere Aufklärung… man muss zum zweiten Mal vom Baum der Erkenntnis essen und so den Widerstreit zwischen dem Subjekt und dem Objekt, unserem Selbst und der Welt zu schlichten. (siehe Hölderlins „Hyperion“)

 

Die Bahn ist exzentrisch, sie führt vom Zentrum der vollkommenen Übereinstimmung mit sich selbst weg. Im Zustand der exzentrischen Selbstentfremdung ist die Dissonanz, die Nichtübereinstimmung unser Kräfte, dominant. Mit dem Erwachen unseres Bewusstseins beginnt der exzentrische Lauf. Das Bewusstsein von uns muss nun selbst in Freiheit, eine Stimmigkeit finden, durch eine Strukturierung und Gewichtung der Kräfte, die wir uns selbst zu geben im Stande sind. 

Ungerechtigkeit

Es geht um die Zuerkennung der Rechtsstellung eines Diensttuenden Hilfsschulrektors und Wiedergutmachung des Unrechts, das mir auf Grund der Fehlentscheidung in der Entnazifizierung zugefügt worden ist.

 

„ Am 22.7.1894 wurde ich in Veltheim im Kreise Minden geboren. Ich bin evangelischer Konfession, habe nie den Deutschen Christen angehört und auch nie meine Zugehörigkeit zur Kirche unterbrochen. Nach meiner seminaristischen Lehrerausbildung bestand nachstehende Examen:

…..Erste Lehrerprüfung im Jahre 1914 in Unna am königlichen Seminar, dann die zweite Lehrerprüfung 1920 in Bochum-Harpen, die Hilfsschullehrerprüfung 1926 in Dortmund, die Mittelschullehrerprüfung 1929 in Bochum….

Durch die Teilnahme an einem Sonderlehrgang, der nicht mit einem Abschlussexamen verbunden war, erwarb ich die Berechtigung als Sprachheillehrer zu unterrichten.

In einem Kursus für Papier- und Papparbeiten kam ich auch mit Falttechniken und der Fröbelpädagogik in einen intensiveren Kontakt. Die Ausbildung, wie auch eine fast dreijährige Beschäftigung in einer Bauschreinerei nach der Entlassung aus dem Schuldienst im Jahre 1945 sind für den Werkunterricht in der Hilfsschule von großem Nutzen.

Abgesehen von einer kurzen Unterrichtszeit im November 1914 in Eisern bei Siegen, habe ich meine gesamte Lehrtätigkeit in Bochum ausgeübt. Am 1. Juli 1927 wurde mit der Einrichtung der evangelischen Hilfsschule in Bochum-Gerthe beauftragt und wurde 1931 von der Regierung in Arnsberg als Leiter dieser Schule bestellt. Nach der Vereinigung dieser Schule mit der katholischen Hilfsschule blieb ich der Leiter dieser Schule und wurde später zum Hauptlehrer und schließlich Rektor ernannt.

Am 6.8.1946 wurde mir die endgültige Entlassung aus dem Schuldienst durch die Regierung in Arnsberg zugestellt.

Nachdem mir Frau Kultusministerin Teusch im Rahmen des Ausgleichs von Härtefällen den Weg zur Wiedereinstellung in meinen Beruf geebnet hatte, wurde ich im November 1949 zum Lehrerberuf wieder zugelassen, unterrichtete in Bochum zunächst an der Volksschule Castroper Straße und dann an der Hilfsschule an der Haldenstraße Auf Wunsch von Herrn Rektor Nöhren kam ich am 1.4.1950 wieder an die Hilfsschule an der Hegelstraße und damit zurück an die Schule, die ich aufbaute, deren Entwicklung ich miterlebte und deren Leitung mehr als 15 Jahre in meinen Händen lag. Die Verwaltung einer Rektor Stelle wurde mir bislang nicht wieder übertragen.

Im Entnazifizierungsverfahren wurde ich laut Einreihungsbescheid der Militärregierung vom 21.7.47 in die Kategorie III eingereiht. Von einer Beschäftigung wurde ich ausgeschlossen und die Pensionsberechtigung entzogen. Auf Grund dieser Kategorisierung wurde ich von der Regierung in Arnsberg meine endgültige Entlassung aus dem Schuldienst am 6.8.1947 verfügt.

Die Kategorisierung ist eine Fehlentscheidung. Die angeführten Gründe für die Einreihung entsprechen nicht den Tatsachen; denn nie war ich in der Partei und in der NSV tätig; nicht einmal Sammlungen o.ä. habe ich durchgeführt. Die Leitung der Arbeitsgemeinschaft der Hilfsschullehrer von Bochum und Umgebung hatte ich nur stellvertretend inne. Die Arbeit diente der fachlichen Weiterbildung der Hilfsschullehrer. Alle Niederschriften über diese Arbeit haben der Entnazifizierungskommission vorgelegen. Sie enthielten keine Belastung, und trotzdem verfügte die Militärregierung härteste Maßnahmen. Eine Uniform habe ich nicht getragen und zu den Schulungsabenden bin ich nie eingeladen worden. Damir niemand eine Tätigkeit in der Partei und in der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) nachweisen konnte, blieb mir die Entscheidung der Militärregierung unverständlich. Ich fühlte mich nicht belastet.

Ich habe jahrelang nachgeforscht und dabei feststellen können, dass meine ganze Entnazifizierung ein einzigartiger Sonderfall ist, der fast unglaublich erscheint.

Wegen meiner Verwandtschaft mit meinem Schwager, dem Truppführer Paul Paßmann, der in den ersten Februartagen 1933 ermordet und danach als Opfer, Blutzeuge, der Bewegung geehrt wurde, schien es sich bei mir um einen eindeutigen, klaren Fall zu handeln. Ohne von dem Fachausschuss und dem Hauptausschuss vorgeladen oder gehört zu werden, wurde in meiner Entnazifizierungsangelegen so hart entschieden. Eine Nachricht darüber erhielt ich nicht. Eine Verhandlung vor dem Berufungsausschuss im Oktober 1946 nahm, und dies war auch der Eindruck, den alle Zeugen gewonnen hatten, einen recht günstigen Verlauf. Belastende Zeugenaussagen lagen nicht vor.

Über das Ergebnis der Berufungsverhandlung wurde ich auch nicht in Kenntnis gesetzt. Erst den Bemühungen eines Regierungsrates, der im Sommer 1947 zu sprechen war, ist es zu danken, dass mir die Entscheidung in der Entnazifizierung zur Kenntnis gegeben wurde: Die Einreihung in Kategorie III.

Gegen diese Entscheidung der Militärregierung legte ich Berufung ein. Diese wurde jedoch nicht zugelassen, da meine Entnazifizierung für die Militärregierung als abgeschlossen galt. Auch einen Antrag auf Wiederaufnahme der Entnazifizierungsverfahrens, der von Herrn Rechtsanwalt Gutmann, Bochum, Ende 1947 in meinem Auftrag gestellt wurde, lehnte die Militärregierung ab. So war mein Schicksal entschieden: Keine deutsche Stelle hatte das Recht, eine von der Militärregierung getroffenen Entscheidung abzuändern, wenn diese nicht das Wiederaufnahmeverfahren genehmigte.

Warum blieb die Militärregierung ablehnend gegenüber meinen Bemühungen um die Wiederaufnahme des Verfahrens?

 

 

Die Entnazifizierungsakten, die ich in den Pfingstferien 1953 bei der Regierung in Arnsberg einsehen durfte, geben folgendes Bild:

-          Zahlreiche Entlastungszeugen und Zeugenaussagen stellen unter Beweis, dass ich schlimmstenfalls als nominelles Mitglied der Partei hätte angesehen werden können

-          Es ist keine einzige Belastung in der Akte vorhanden.

-          Für die Behauptung im Einreihungsbescheid, ich sei Mitglied in der Partei und in der NSV gewesen, ist keine Unterlage gefunden worden.

-          Als einzige Belastung bleibt die Aussage des Ausschussmitgliedes Hossiep, die nach Schluss der Berufungsverhandlung im Oktober 1946 ohne mein Wissen in die Niederschrift aufgenommen worden ist und besagt, dass mein Schwager Passmann als großer Nationalsozialist in Bochum bekannt ist. Diese Aussage ist in der Entnazifizierungsakte durch ein Randzeichen kenntlich gemacht worden. Nach Aussage mehrerer Ausschussmitglieder ist mir diese Aussage zum Verhängnisgeworden. Die Erinnerung daran, dass die SA nach dem Mord an dem Truppführer Passmann gleich drei Funktionäre der KPD niederstreckte, andere unmenschlich grausam schlug, musste auf alle erregend wirken. Man nahm sicher an, dass ich an all den Feierlichkeiten, in denen Passmann als Opfer der Bewegung geehrt wurde, teilgenommen und als naher Verwandter auch Nutzen aus dem gesamten Geschehen gewonnen hätte. Da mag es verständlich erscheinen, wenn die Ausschussmitglieder meine Einreihung in die Kategorie III als eine angemessene Sühne ansahen.

In Wirklichkeit lebte ich mit meinem Schwager, einem Außenseiter in der Familie, seit Jahren in einem recht gespannten Verhältnis ((Zeugnis Schulrat Heenes). Ob er ein großer Aktivist, muss sehr bezweifelt werden, wenn man die letzten Jahre seines Lebens beurteilt. Drei Jahre besuchte er bereits die Bergschule, dabei ging er regelmäßig seinem Beruf als Bergmann in der Grube nach. Er war auch Leiter der Klassengemeinschaft und arbeitete schon wochenlang vor dem Abschlussexamen. Das noch vor Ostern des Jahres gemacht werden sollte, an der Aufstellung einer Abschlussschrift und an der Gestaltung der Abschlussfeier. Da dürfte wohl nicht mehr sehr viel Zeit für nazistische Aktivitäten übriggeblieben sein. Das ordentliche Gericht in Bochum, das 1948 die Vorkommnisse nach dem Mord zu verhandeln hatte, stellte als Mörder meines Schwagers mehrere SA-Männer fest. In dieser düsteren Situation ist es erfreulich, dass sich später Hauptausschuss und Berufungsausschuss nach Kenntnis der wahren Zusammenhänge in recht anerkennenswerter Weise bemüht haben ein Wiederaufnahmeverfahren in meiner Angelegenheit bei der Militärregierung zu erreichen. Leider blieben ihre Bemühungen wie auch die meinen erfolglos. Die Militärregierung ließ sich nicht umstimmen. Noch kurz vor dem Termin der periodischen Überprüfung im Jahre 1949 lehnte sie ein Wiederaufnahmeverfahren ab.

In der periodischen Überprüfung vom 24.6.1949 wurde ich nach der Verordnung Nr. 79 der Militärregierung entlastet. Da sich mit dieser Entlastung für mich nichts änderte, wandte ich mich erneut an das Kultusministerium, das mir schon 1948 zugesagt hatte, in meinem Falle, der als Härtefall anerkannt wurde, ausgleichend einzugreifen, sobald sie Möglichkeit hierfür gegeben sei. Frau Kultusministerin Teusch hat mir auch dann den Weg zu meinem Beruf geebnet: Zum 4.11.1949 kam ich als Lehrer wieder in den Schuldienst.

Laut Beschluss des Herrn Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in Düsseldorf vom 13.3.1951 erhielt ich mit Wirkung vom 1.9.1950 die Rechtsstellung eines im Wiederaufnahmeverfahren in Kategorie V Eingestuften und kam damit ab 1.9.1950 bis zum 31.3.1953 zu meinem Hilfsschulrektor Gehalt. Es war das volle Endgehalt eines Rektors.

Aber es geht noch weiter. Seit dem 1.4.1953 als das Vierte Besoldungsänderungsgesetz in Kraft trat. Muss ich erneut Gehaltseinbußen hinnehmen. Nach § 37 der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Änderungsgesetzes darf bei der Festsetzung der Übergangsgehälter die Zeit der Nichtbeschäftigung während des Entnazifizierungsverfahrens nicht mehr angerechnet werden. Damit verlor ich mehr als 4 Besoldungsdienstjahre als Rektor und erreichte nicht mehr die Endgehaltsstufe.

In wiederholten Anträgen an die Regierung in Arnsberg und an das Ministerium in Düsseldorf habe ich versucht, eine Wiedergutmachung des Unrechts, das mir zugefügt wurde, zu erwirken. Leider blieb mein Bemühen ohne Erfolg. Anfang 1956 habe ich meine Entnazifizierungsangelegenheit bekannten Rechtsanwälten in Bochum unterbreitet. Nach sorgfältiger Prüfung meines Falles erhielt ich von ihnen die Bestätigung, dass die Entscheidungen von Ministerium und Regierung richtig seinen, soweit sie nach dem Wortlaut des Gesetzes getroffen sind, hingegen der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden sei.

Da aber die Wiederherstellung meiner alten Rechtslage nicht nur wünschenswert, sondern der Gerechtigkeit wegen auch notwendig sei, wurde von dieser Stelle der Weg des Gnadengesuches an das Kultusministerium empfohlen.

Der damalige Kultusminister teilte daraufhin mit vom 13.4.56, dass „keine Veranlassung bestehe, die geltenden Besoldungsverhältnisse abzuändern.“ (Z 2/3-25/03-5 Stucke).

Für den Gesetzgeber musste es undenkbar sein, dass ein so gelagerter Fall wie meine Entnazifizierung möglich sein sollte. So haben wir heute die merkwürdige Situation, dass die meisten früheren Anhänger der NSDAP wieder in Amt und Würden sind, obwohl sie in der Partei verantwortungsvolle Stellen inne hatten, hingegen ein irrtümlich gemaßregelter Beamter bis zum Lebensende schweres Unrecht tragen muss.“

 

 

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Oberstaatsanwalt

Bochum, den 22. Februar 1933

 

An den Herrn preußischen Justizminister zu Händen des Herrn Kommissar des Reiches in Berlin durch den Herrn General Staatsanwalt in Hamm Abschrift zu XII 60/283 beigefügt

 

Betrifft: Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Mordes zum Nachteil Paßmann

 Anlage ein Zeitungsausschnitt

 

 Am 5. Februar 1933 gegen 0:15 Uhr wurde der SA Truppführer Paul Paßmann in Bochum-Gehrte in der Dietrich-Benking Straße erschossen.

Die Ermittlungen sind noch nicht beendet, so dass eine abschließende Darstellung des Vorfalls nicht gegeben werden kann. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnis ergibt sich folgenDes Bild: Passmann, der vom Besuch eines Freundes in Castrop-Rauxel kurz nach 24 Uhr zurückkehrte, beging allein die Dietrich-Benking Straße. Als er sich etwa in Höhe des Hauses Nummer 22 befand, kamen ihm vier oder fünf Personen entgegen. obwohl Passmann einen langen Mantel trug, der SA Hose und Abzeichen verdeckte fiel sofort zwei bis dreimal der Ruf. „Nazi, verzieh dich.“

 Nach der Darstellung des einzigen unmittelbaren Zeugen des Beginns des Vorfalls, Nowak, lief nun zunächst eine Person, offenbar Passmann, zurück. Die anderen Personen drängten nach. Nun wurde, anscheinend von Passmann, gerufen: „Hände hoch.“ Einer der Angreifer rief: „zurück“, worauf sie einen Halbkreis um Passmann bildeten. Gleichzeitig wurde wieder zweimal „Hände hoch“ gerufen, aber von einer anderen Stimme, die offenbar von einem Angreifer kam. Darauf fiel der erste Schuss den nach Ansicht des Zeugen Nowak Paßmann, der eine 08 Pistole führte, abgegeben hat.

 

Gleichzeitig fielen 2 Schüsse von der Gegenseite, worauf eine gegenseitige Schießerei folgte. Paßmann erhielt drei schwere Bauchschüsse und viel zu Boden. 2 der Angreifer blieben einige Augenblicke bei Paßmann und griffen mit der Hand an die Jacke. Darauf kniete einer von ihm nieder und tötete den Paßmann durch einen aus nächster Nähe abgegebenen Kopfschuss.

Im Ganzen sind etwa 20 Schuss gefallen von denen Passmann 8 abgegeben hat. Die Angreifer haben mindestens zwei selbstladende Pistolen Kaliber 7,65 benutzt. Am Tatort wurde eine blutbefleckte 9 mm Kugel gefunden, die aus der Pistole des Paßmann berühren dürfte. Es besteht daher die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Angreifer verletzt ist.

 

Die sofort einsetzenden, in großem Umfang durchgeführten Ermittlungen haben zu einer Reihe von Festnahmen von Kommunisten aus der Umgebung, in deren Reihen die Täter zu suchen sein dürften, in Gehrte und Umgebung geführt, die jedoch wieder entlassen werden mussten, mangels jeglichen einer Beteiligung an der Tat.

 

Da kein Zeuge vorhanden ist, der die Täter wiedererkennen würde, sind die Ermittlung sehr erschwert und es erscheint zweifelhaft, ob die Täter ermittelt werden können, falls nicht durch Vertrauenspersonen Angaben gemacht werden.

Zurzeit richten sich die Ermittlung in der Hauptsache gegen drei verschiedene Gruppen von Kommunisten, ohne dass jedoch bisher Beweismaterial vorliegt.

Das hier verbreitete Gerücht es, handele sich um einen von Nationalsozialisten begangenen Feme Mord dürfte von kommunistischer Seite herrühren, um den Verdacht von sich abzulenken.

 

Sobald die Ermittlung zu einem positiven Ergebnis führen, werde ich weiteren Bericht erstatten.

 

 

gez. Dressler                                                       

 Thomas sitzt im Flugzeug und ist richtig froh sich auf den Weg gemacht zu haben. Er freut sich auf Finnland, auf Eero, den er nicht kennt, noch nie gesehen hat, auf interessante zwei Monate, aber auch auf Erholung. „Hoffentlich denkt Eero daran mich vom Flughafen abzuholen,“ denkt er, „was mach ich denn ggf. allein in Helsinki?“  Es ist eine Propellermaschine, die 1967 von Hamburg nach Helsinki fliegt. Die Motoren sind gut hörbar, es brummelt im Ohr, fast einschläfernd und es schaukelt etwas.

 

Ihm fallen leicht die Augen zu und ein gedämpftes Grinsen liegt ihm im Gesicht. Er denkt an den „goldenen Schlagring“, den sie einem Oberstudienrat noch kurz vor Schuljahresende an seiner Schule verliehen haben. Die Presse war dabei, es gab ein riesiges Theater. Alle beteiligten Schüler sollten noch Konsequenzen zu spüren bekommen. Aber es ging einfach nicht mehr, viele Lehrer verprügelten manchen Jungen so stark, dass sie blutend zusammenbrachen. Wehren war nicht angesagt. Was für eine brutale und auch spießige Zeit war es damals. Zum Glück gab es die Schülergruppe des SDS, da konnte man diskutieren, hatte guten Kontakt zur Universität und vielen Studenten dort. Lange Haare waren fast Pflicht, „let´s go to San Franzisco“, aber die Eltern machten Druck. Die Eltern von Thomas verbrannten seine Hippieplattensammlung und sein schwarzrotes Lieblingshemd.

 

Anfang Juni war er in Berlin zur Demonstration gegen den Schah von Persien, der Persien mit der Geheimpolizei schikanierte. Es gab viele Rangeleien mit der Polizei auf der Demonstration und auch der Geheimdienst des Schahs war aktiv am Rande der Demonstration dabei provozierte und prügelte sich; dann einen Tag später wurde bekannt, dass Benno Ohnesorg bei einer Rangelei mit der Polizei erschossen wurde. Ein Wahnsinn - in Thomas wich die Heiterkeit in tiefe Traurigkeit.

 

Thomas reiste nicht nur nach Finnland um Neues zu entdecken, er wollte auch aus den Zwängen und den verdrängten Erlebnissen heraus, mindestens Abstand bekommen. Gerade nach den anstrengen Kurzschuljahren. Und dann nach dem Verbot der Eltern weiter mit seiner Freundin Anja liiert sein zu dürfen. Anja ist irgendwie schwanger geworden, und die Eltern haben alles im Geheimen organisiert, das Kind abzutreiben. Ich kann das kaum verarbeiten, sagte er zu sich, kann nicht einmal mehr mit ihr sprechen. Es ist zum Heulen. Er duselte weg.

 

Schule, Elternhaus, Freundin und jetzt nach Finnland auf Entdeckungsreise.

Eero ebenfalls 17 Jahre alt und langhaarig zum Glück und seine Schwester Laina mit blonden langen Haaren holten Thomas am Flughafen ab. Es begann eine wundersame Reise durch Finnland mit ungewöhnlichen Erlebnissen und Gesprächen. Die Moltebeere, die Rosenhimbeere, die Rubus Chamaemorus wurde nicht nur streckenweise in Nordfinnland zur Hauptnahrungsquelle, sondern öffnete über ihre geheimnisvollen und antibiotischen Eigenschaften einen Weg für Thomas zu sich. Verbunden mit der Geduld, die die Moltebeere beim Ernten verlangt, konnten die auslösenden Erlebnisse des wunderschönen Finnlands belastende Erfahrungen, die im Inneren aktiv waren und Kräfte raubten, angegangen, befragt, geklärt und geordnet werden. Die Rosenhimbeere wurde zur „Schlüsselblume“. Die Mittsommerfeier mit dem riesigen Feuer brachte einiges ins Wanken. Thomas war 17 und Laina 31. Und es war Mittsommer in Padasjoki.

 

Matala….. immer wenn Thomas an Matala denkt, bekommt er Sehnsucht nach diesem Ort auf Kreta. Er hat dort gelebt in den frühen siebziger Jahren. An der Hochschule, wo er studierte, wurde mal wieder gestreikt. Was tun war die Frage? Allein in seinem möblierten Zimmer sitzen war nicht genug für ihn. Thomas musste i von dort weg, die Freiheit spüren und leben, reiste über Athen und Piräus mit dem Schiff nach Kreta. Er hatte von Matala gehört und wusste, dass dort Hippies am Strand und in den Höhlen wohnten, dort ein anderes Leben führten. Er konnte sich das gar nicht vorstellen, was freiheitliches Leben praktisch bedeuten kann.

 

Er hat als Student wenig Geld und musste sich etwas verdienen, also einen Job auf Kreta finden. Die Tomatenernte bot sich an. Als er von Heraklion mit dem Bus an die Südküste fuhr, gab es immer mehr Gewächshäuser dort, die mit Plastikfolie geschützt waren. Was wächst hier und warum gibt es so viele Gewächshäuser? Angeblich werden hier die holländischen Tomaten angebaut und per LKW nach Holland und Deutschland gebracht und er lernte junge Leute kennen, die dort in der Ernte aktiv waren. Thomas war begeistert, er konnte mitmachen und sich ein paar Drachmen verdienen, morgens im Restaurant einen Kaffee auf der Terrasse trinken. Ein Stück Weißbrot gab es immer umsonst dazu.

 

Abends ging es an den Strand. Er hatte nicht viel Gepäck dabei. Das wichtigste Utensil war der Bundeswehr Schlafsack, der beschichtet war, doch manchmal war es einfach zu heiß da drin. Abends und in der Nacht war der Strand voll, intensive Gespräche, kennenlernen, Wein trinken und schwimmen.

 

Von der Bushaltestelle ging er allein herunter an den Strand. Zur linken sind 2 Restaurants und wenige Häuser, nach rechts hin die bekannten Höhlen die überwiegend bewohnt sind. Er suchte sich einen Platz am Strand. Es war heiß, zu heiß und legt sich in den Schatten des Restaurants und schlummerte etwas.

 

Einen Sommer und einen Winter lebte Thomas dort, arbeitete viel und lernte interessante Menschen kennen, viele junge Amerikaner, die nicht in den Vietnamkrieg wollten. Musiker und auch Aussteiger. Liebe, Musik, Freiheit waren wichtig, man konnte ausleben, was man wollte und suchte.

 

Thomas wollte Kreta mehr kennenlernen und entdeckteGeorgiopouli, die Samaria Schlucht und blieb eine Zeit in Agia Roumeli am Strand, Chania mit dem schönen Hafen, einige minoische Ausgrabungsstätten und entschlüsselte die erfundenen Geschichten von Arthur Evans und Emile Gillieron über die Macht der Frauen bei den Minoern.

 

Suchte mit einem Hippiefreund in alten aufgeschichteten Steinmauern nach antiken Scherben mit Inschriften oder Bildern, verliebte sich am Red Beach,  lernte Sirtaki tanzen in Agia Galini, arbeitet dort in einem Hotel und feierte mit den Einheimischen Silvester. In Agia Galini erfuhr er viele Details  von den deutschen Untaten im 2ten Weltkrieg auf Kreta.

Es war eine intensive, herausfordernde und sinnliche Zeit, die tief in seinem Inneren haften blieb und bis heute Thomas immer wieder dorthin zieht. Sehnsucht nach Matala.

 

Im Spätsommer sitzt Thomas morgens draußen auf der Terrasse seiner Gastfamilie in Exo Chora. Sie sind alle früh aufgestanden, haben kurz einen Kaffee getrunken und dann 2 Stunden ordentlich gearbeitet. Die ganzen Oliven, die sie die letzten Tage von den Bäumen geerntet haben, waren wohl sortiert in Körben gelagert nun in die steinerne Ölmühle geschüttet worden und diese standen als Brei in einer großen Auffangschale bereit. Die Ölpresse war gerichtet. Schicht für Schicht wurde der Brei auf die bastartigen Matten aufgetragen und mit etwas zunehmenden Druck von oben gequetscht. Unten in einem silbrigen Blechkanal kam die grüngelbe Flüssigkeit zu Tage.

 

Varvara brachte das knusprig frische Weißbrot vom Backofen aus der Küche und stellte es mitten auf den blauen Tisch. Es roch so lecker. Thomas bekommt noch mehr Hunger „Einen Moment noch ihr Fleißigen“ sagte Varvara, „es ist ein besonderes Frühstück“. Die beiden Töchter und der Vater hatten es sich es bequem gemacht. Und Varvara brachte kleine Schüsseln mit dem frischen Öl für jeden dazu und stellte sie auf den Tisch. „Es gibt nichts Besseres, als frisches Weißbrot in das erste Olivenöl zu tunken und es zu genießen.“ Es schmeckt herrlich milde, traumhaft. Das Brot knackte beim Hineinbeißen und entfaltet im Mund mit dem Öl einen edlen Geschmack. Thomas ist angetan, begeistert. Die Familie sitzt zusammen, redet über die komplizierte Ernte der Oliven mit den Stöcken und dem Rechen, das Sortieren und das Aufbereiten in der Mühle und jetzt der milde reine Geschmack des Olivenöls, ein Geschmackserlebnis. Alle genießen die Situation und wir gucken uns intensiv an.

 

Thomas fiel in seinen Gedanken weit zurück, diese Situation so verbunden in der Gemeinschaft der Familie und beim Essen war für ihn ungewohnt. Seine Gedanken führte ihn zu seiner Familie in Kiel, an die Spießigkeit und eigenartigen Regeln beim Essen. Geradesitzen, alles aufessen, kein Genuss. Hier ist es völlig anders. Thomas ist froh, dass er schon vor der Volljährigkeit aus dem Haus seiner Eltern ausgezogen ist und nun in Bremen in einer Wohngemeinschaft lebt. „Warum muss ich jetzt gerade daran denken, fragt er sich.

 

„Wir machen heute noch die gesammelten Reste der Oliven fertig,“ meinte der Vater, „und füllen das Öl erstmal in die Fässer. Es muss sich noch ein bisschen setzen und Wasser der Oliven muss noch abgelassen werden. Aber wir lassen uns Zeit. Heute Abend wird gefeiert.“

 

Thomas ist gut bei der Familie Papadakis angekommen und wurde auch freundliche begrüßt mit einem Raki. Das war vor 2 Wochen. Varvara hat zur Begrüßung von mir ordentlich dabei Souvlaki gebruzzelt, es roch sehr lecker und einladend in dem Haus. Der selbstgemachte Tzaziki wurde nah an die Tomaten gelegt und schmeckte gut und intensiv nach Knoblauch. Damaris und Daphne, die Zwillingstöchter halfen ihr dabei den Tisch schön anzurichten. Der Weißwein war gekühlt in dem Krug. „Ein Verdea direkt von der Insel und schön, dass du da bist“ sagte die Mutter.  „Nachher erzählst du mal von deiner langen Reise hierher. Du bist sicher über Korfu gekommen?“

 

Zum Glück können alle ein Deutsch sprechen. Die Kinder lernen die deutsche Sprache in der Schule, sagte Vavara und wir prosteten uns zu. „stin ygeia` mas“ (Yamas).   Ja, wir hatten uns über die Universität in Bremen, die dortige internationale Austauschbörse, kennengelernt und Briefkontakt gepflegt. Familie Papadakis hatte zu diesem Aufenthalt sich bereit erklärt, eingeladen und wollte gerne jemanden haben, der ihnen bei der vielen Arbeit im Spätsommer und Herbst hilft. Sie bewirtschaften eine kleine Taverne am Strand und haben nebenher viele Olivenbäume, produzieren und verkaufen Olivenöl. Für Thomas war das genau das Richtige, er wollte etwas mehr in die griechische Sprache einsteigen, zur Ruhe kommen, nachdenken und auch die Kultur erleben.

 

Er hätte nie gedacht, dass die Tour ihn stark verändert. Die stille romantische, eindrucksvolle Idylle mit der Navagio Bucht, dem Nationalpark mit den Schildkröten, der Laganas Beach im Süden, dazu die Erlebnisse mit Daphne und Ariadne brachten ihn auch in die Erinnerungswelt seiner Kindheit an der Nordsee zurück, halfen bei seiner Suche nach Lebenssinn und verschafften einen Halt für seine schwierigen Erlebnisse der letzten Zeit. Als ob das frische Öl der Oliven den Seelenmotor gangbar macht.

 

Die Jeansroute

 

Es war eine ungewöhnliche Zeit als es in der Türkei keine Jeans zu kaufen gab und es wurden dort auch noch keine produziert. In der Türkei war es unruhig und das Militär und die Polizei kontrollierten nach und vor jedem Ort die Busse. Alle Reisenden mussten aussteigen und ihr Gepäck öffnen.

 

Thomas kannte das schon, er war von Antalya, wo er im Hafen beim Be- und Entladen der Schiffe mitgearbeitet hatte, es die leckerste Fischsuppe gab, nach Adana unterwegs und wollte dann weiter über Iskenderun nach Aleppo in Syrien. Durch besondere Begegnungen auf der Tour landete er auf Zypern in Kyrenia im Norden. Zypern war gerade geteilt (1974) worden und die Hauptstadt Nikosia war durch einen Zaun mittendrin getrennt. Alles ist schwer bewacht. Nur mit besonderen Papieren konnte man vom nördlichen Teil nach Süden in den griechischen Part.

In Kyrenia lernt er Bassam kennen, der seinem Namen alle Ehre macht, immer gut drauf ist und lächelt, und Thomas steigt mit ihm in den nichterlaubten Jeanshandel ein. Grenzen werden übertreten, im Libanon, nahe Beirut, geraten beide in eine Schießerei und in Aleppo gibt es schließlich die besten Jeans.

Wie bekommt man die Jeans nun in die Türkei? Eine spannende Zeit beginnt.

 

 

 

 

 

 

 

Eckehard Zühlke, Mai 2019

 

Zwischen Bologna und Fröbel

Geschichte des Ev. Fröbelseminars 2002 bis 2015

 

 

1. Die besondere Prägung als Fröbelausbildungsstätte; die Freiheit einer privaten Ausbildungsstätte, Mitarbeit am neuen Ersatzschulfinanzierungsgesetz im Verbund mit den privaten Trägern

 

2. Praxis und Theorie: Ausbildungsstätte mit Lehrkindergarten; Orientierung an Friedrich Fröbel; modernes und postmodernes Denken

 

3. Von der Kindertagesstätte zum Kindergarten mit  zum Familienzentrum: Rückbesinnung auf den Kindergarten (Paradies nach Fröbel)

 

4. Die Bauvorhaben an allen Standorten: neue und renovierte Lehrgebäude in Kassel, Korbach, Umzug von Bad Arolsen nach Korbach; Kindergarten und Familienzentrum; Planung des Dachausbaus in Kassel Sternbergstraße; Lernwerkstätten

 

5. Neubau und Anbau der Fröbelausbildungsstätten nach Bauhaus und LeCorbusier; Forschung am Kontext von Bauhaus und Fröbel; Fröbelarchiv und Aufarbeitung der Geschichte des Fröbelseminars: geprägt durch engagierte Frauen

 

5. Qualitätsentwicklung und Sicherung nach dem Peer-Review Verfahren; Entwicklung des Peer-Review Verfahrens mit Prof. Rolff; Qualität im Dialog entwickeln, Qualitätskriterien im Verbund und Verband (BEA) gemeinsam entwickeln; kritischer Blick auf die Output-Orientierung

 

6. Leitbild, Zertifizierung und Qualitätsmanagement

 

7. PISA und Bildungsherausforderungen für die Kindheitspädagogik: Bolognaprozess; Kompetenzorientierung; ECTS ….Kompetenzorientierung und individuelle Bildungsvoraussetzungen und Vorstellungen; Kinderrechte,  Reform der Kinderbetreuung, Kinder unter 3 Jahren; Arbeitsmarktlage von Fachkräften; Entwicklung und Schaffung neuer Ausbildungsformen in Teilzeit und die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA)

 

8. Die Module spielen verrückt; Modularisierung und Kooperation mit der Ev. Hochschule in Darmstadt: Kooperationsstudiengang: Kindheitspädagogik

 

9. Forschungs- und Entwicklungsverbund mit der Universität Kassel; erste Promotionsvorhaben fertiggestellt

 

10. internationale Partnerschaften mit der Universität Cherson, Ukraine, Shokutoku Universität Tokio und Kanno Ikuaikai Tokio, Initiierung zur Schaffung neuer Fröbelverbände z.B. Ukraine Cherson; Fröbelimpulse in China, Indonesien, Brasilien, Nicaragua, Guatemala, Costa Rica, Panama, Japan u.a.

 

11. Soziales Engagement in der Ukraine: Straßenkinderhaus Antonovka Cherson und Unterstützung von Kindergartenprojekten

 

12. Internationale Praxisausbildung für Studierende in Australien, Ecuador, Polen, Spanien, Dänemark, Norwegen u.a. Kooperationen mit einige Deutschen Schulen im Ausland

 

13. Das Fröbelseminar als Impulsgeber in der BAG-BEK und dem Ev. Fachschulverband aber auch im Verbund der privaten Träger in Hessen; Mitarbeit im Vorstand BAG-BEK: Leitung Arbeitsgruppe "Forschungsethik in der Kindheitspädagogik"

 

14. Aufbau des kindheitspädagogischen Fortbildungszentrums im Fröbelseminar; "after sales marketing"

 

15. Planung und Veranstaltung von besonderen nationalen und internationalen Tagungen

 

16. Mitarbeit in der Fröbelsociety und dem Fröbelmuseum in Bad Blankenburg

 

17. Impulse für Diakonie und Kirche; Kinderrechte, Diversität und Inklusion; Bewahrung der Schöpfung

 

18. Das Archiv des Ev. Fröbelseminars: Aufbereitung, Erschließung der historischen Dokumente insbesondere Papiere zum Bezug zur Frauenbewegung, zur kritischen Sozialpädagogik, zu Bertha von Mahrenholz-Bülow, Erika Hoffmann u.a.

 

19. Veröffentlichungen: Erziehung nach Auschwitz, "sozialpädagogisch bilden"; sozialpädagogische Ausbildung zwischen Fröbel und Pisa u.v.a.m

 

20. Ausblicke: Perspektiven für das Ev. Fröbelseminar; Wissenschafts- , Forschungs- und Praxisbezug; Verschränkung von kindheits- und sozialpädagogischen Perspektiven; Module zwischen Selbstreflexivität und Outcomeorientierung; Qualität im Dialog entwickeln; neue Fachschulformen, Berufsakademie und Hochschule; Vernetzung mit der Praxis (Ausbildung, Studium, Familienzentrum, Kindergarten; Forschung);  regionale Netzwerke; Erschließung neuer Standorte; u.v.a.m.

Eckehard Zühlke, Juni 2014/2018


Wie Integration gelingen kann -
Menschen mit Migrationsvorsprung


Die Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen gerade in der berühmten Migrationsfrage nehmen zu und machen damit den menschlichen Umgang mit den betroffenen Menschen nicht einfacher. Ich möchte gern in diesem Beitrag zwei jungen Frauen vorstellen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, es geschafft haben ihre besonderen auch kulturell geprägten Perspektiven zu erfassen und zu reflektieren und sich aktiv neue Wege und Chance suchen.
In meiner Zeit am Evangelischen Fröbelseminar kamen viele junge Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten zu uns und bildeten sich für unterschiedliche sozial- und heilpädagogische Berufe aus. Sie machen zum Teil auch innerhalb der SozialassistentInnenausbildung das Fachabitur und gehen als Studierende in die ErzieherInnenausbildung oder studieren im Verbundstudiengang „ Bildung und Erziehung in der Kindheit“.
Ein großer und immer größer werdender Anteil von jungen Menschen kommt aus anderen Ländern, Kulturen und sie leben eine andere Religion; man sagt sie haben einen „Migrationshintergund“. Migrationshintergrund ist ein Begriff aus der statistischen Erfassung von Menschen und dazu zählen: alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.
In Bildungsprozessen und den weiteren Begegnungen ist es uns vom Evangelischen Fröbelseminar entsprechend unseres Glaubens und verbindlich im Leitbild gefasst, wichtig, dass wir einander wertschätzend wahrnehmen, uns fragend und zugewandt begegnen mit dem Ziel des gegenseitigen Verstehens. Die einzelne Person steht in den Bildungsprozessen im Vordergrund.
So habe ich mit drei jungen Frauen mit besagtem „Migrationshintergrund“ geredet, vor allem gefragt um zu verstehen wo sie stehen und wo sie hin möchten. Als Vorbereitung hatte ich verschiedene Fragen formuliert, die wir im Gruppengespräch durchgegangen sind und einige Gedanken wurden im Nachhinein schriftlich fixiert. Frau Sh…… beispielsweise kommt aus Namibia und beendet im nächsten Monat die Sozialassistenausbildung. Sie macht Abitur. Frau Ma…… kommt aus der demokratischen Republik Kongo, ist im gleichen Bildungsgang und ist stolz eine Bantu zu sein. Die Eltern von Frau Tagh…kommen aus Marokko. Sie ist Studierende in der ErzieherInnenausbildung und durchläuft gleichzeitig den Bachelor Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“.
Mich interessiert insbesondere die Frage, welche Schätze tragen diese Menschen in sich, warum wird die Ausbildung gerade am Evangelischen Fröbelseminar gemacht und wie werden die Religiosität und die kulturellen Werte hier in der Ausbildung erlebt, wie geht der Weg weiter.
„Was soll das mit dem Migrationshintergrund, wie werden wir klassifiziert. Es klingt irgendwie komisch, abgestempelt, zugeordnet? Es ist nicht erkennbar für uns, wo wir damit „abgelegt“ werden. Ich empfinde einen „Migrationsvorsprung“ sagt Frau Tagh…..und die anderen Gesprächteilnehmerinnen stimmen zu. „Ich bin bilingual aufgewachsen und durch die beiden Kulturen, Marokko und Deutschland, geprägt. „So bin ich eben und das ist für mich normal. Ich denke und fühle deutsch und marokkanisch.“ Frau Mal…. fühlt sich auch nicht als Migrantin. „Vielleicht vor 17 Jahren war ich vielleicht ein Mensch mit Migrationshintergrund. Heute bin ich eine junge selbstbewusste Frau mit afrikanischen Wurzeln. Ich bin hier zu Hause und Deutschland ist meine Heimat. Ich fühle mich wie eine Deutsche, trotz schwarzer Hautfarbe. “ Man darf hier in Deutschland nicht „Schwarzer“ sagen, „wegen Vorurteil und Diskriminierung oder?“ fragt sie. „Darf ich denn „Weißer“ sagen?“
„Ja, manchmal bin verunsichert, aber ich habe eine tolle Familie, die ich sehr liebe, meint Frau Sh….., „auf die ich stolz bin und dann ist bei uns mehr Bewegung im Leben. Die Menschen zeigen ihre Gefühle mehr und setzen sie in Gesang und Tanz um, das steckt in mir. In Deutschland ist das anders.“ Aber nicht nur bei der Bedeutung von Familie, Tanz und Bewegung gibt es Verschiedenheit, auch bei den „Werten in der Erziehung sind mir Unterschiede aufgefallen. Aber den Zusammenhalt von Menschen finde ich wichtig, hier ist jeder eher für sich, das einzelne Kind und seine Bildung steht im Vordergrund und weniger die Gemeinschaft.“ Bildung zur Gemeinsamkeit und für die Gemeinschaft hat eine hohe Bedeutung.
„Ich trage heute eine kulturelle Sensibilität für Menschen in mir, die woanders herkommen. Ich weiß, was es bedeutet „fremd“ zu sein und hoffe, dass ich meine ausgeprägte Empathie privat und beruflich nutzen kann.“ „Das ist mein Migrationsvorsprung.“
Die beruflichen und persönlichen Bildungswege und Ideen sind verschieden. Beispielsweise: „Zum Fröbelseminar zu gehen, bin ich quasi gezwungen worden, nur so habe ich meinen Aufenthalt hier Deutschland bekommen. Nach dem Abitur möchte ich Wirtschaftswissenschaften studieren.“ Oder: „Ich möchte Erzieherin werden und mit Kindern und Jugendlichen arbeiten“ oder „ich bin beim Fröbelseminar, weil hier Werte und Normen vermittelt und gelebt werden, die mir wichtig sind. Obwohl ich einen moslemischen Glauben habe, weiß ich um die Kraft des Glaubens, er schenkt uns Menschen Kraft und Hoffnung. Der Gott ist doch derselbe.“
Das Fröbelseminar ist eine evangelische diakonisch geprägte Bildungseinrichtung. Wir sind offen für Menschen aller Glaubensrichtungen. Alle müssen jedoch am evangelischen Religionsunterricht und an der christlich geprägten Schulkultur teilnehmen. Es gab schon Lernsituationen, bei denen beispielsweise jüdische, moslemisch, christliche geprägte Menschen engagiert sich fachlich auseinandersetzten.
Zu den regelmäßigen Gottesdiensten gehen alle Schüler und Studierende. „Mich interessiert Religion stark, die Vielfalt von Religionen und die christlichen Ausprägung konnte ich gut kennenlernen.“ „Ich bin total positiv überrascht, wie gut die Gottesdienste sind und ich nicht das Gefühl habe, dort ausgegrenzt zu sein.“ „Ich bin wegen der religiösen Prägung des Fröbelseminars hier, aber mich hat gewundert, dass etwa die Hälfte in meiner Lerngruppe nicht wirklich an Gott glaubt oder es nicht zeigt. Das hatte ich nicht erwartet, doch es ist in Ordnung.“
Und doch gibt es tief im Inneren Herausforderungen, die schmerzen, fragen und bewältigt werden konnten: „Während meiner Ausbildung im Ev. Fröbelseminar habe ich viele ganz andere Seiten der deutschen Kultur noch näher kennen lernen können. Ganz besonders in der Erziehung und dem Bild vom Kind hier in der Pädagogik habe ich viel Neues lernen können. Hier sehe ich Unterschiede zwischen beiden Kulturen. Vieles gerade aus dem Kontext der frühkindliche
Entwicklung hat mir sehr gefallen, jedoch habe ich auch manches erfahren, was mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich habe begonnen, Vergleiche zwischen der kongolesischen und der deutschen Erziehung zu ziehen. Das hat viele innere Konflikte in mir verursacht. Auf beiden Seiten habe ich Schwächen entdeckt, die ich früher unwissentlich für Stärken gehalten habe. Letztendlich hatte ich immer das Gefühl, mich für eine Seite entscheiden zu müssen. Das war nicht einfach.“ „Ich kann mir auch vorstellen, später ein Bildungswerk oder eine Hilfsorganisation im Kongo aufzubauen, um besonders Mädchen dort zu fördern und zu bilden.“ „Und heiraten möchte ich so gern.“
Hier wird fühlbar und nachvollziehbar, dass verschiedene kulturelle Erfahrungen zu inneren und ggf. äußeren Spannungen führen können, aber auch, dass neue Wege sichtbar werden. Wichtig in der Begleitung durch das Team von DozentInnen ist letztlich die Akzeptanz dieser manchmal gespannten Vielfalt im Äußeren und Inneren. Wir versuchen diese Spannung im Alltag des Lernens und Lehrens wahr- und an-, aber auch aufzunehmen und ins Gespräch zu bringen. Für uns ist eine akzeptierende Haltung eine Möglichkeit einen Angelpunkt einer neuen Identität zusehen und letztlich den Migrationsvorsprung zur Geltung zubringen und zwar in jedem Einzelnen als auch in der Kultur des Miteinanders im Hause.

 

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Eckehard Zühlke, Juni 2015/2018

 

 

Sich erinnern, sich besinnen und sich ausrichten

 

Zum 125 jährigen Geburtstag des Evangelischen Fröbelseminars

 

 

Ich möchte den Wurzeln unseres Hauses, des Ev. Fröbelseminars, nachspüren, diese aufzeigen und so die mögliche Kraft, die in uns steckt, die uns reifen lässt und treibt kurz präsentieren. Von 2001 bis 2015 war ich dort als Direktor tätig.

 

Aber es ist nicht einfach: die vorliegenden Darstellungen der Ursprungssituation sind undeutlich und zum Teil widersprüchlich. (Erich Freudenstein, Eine Darstellung der Geschichte des Ev. Fröbelseminar (Manuskript ohne Datum, Hanna Mecke, Die Arbeit im Evangelische Fröbelseminar, 1905; Friedrich Kiss, Johanna Ottilie Wilhelmine Mecke, Manuskript, ohne Datum; 1890-1990 Evangelisches Fröbelseminar,  Festschrift 1990, Florian Tennstedt, Pauline Gruß, eine Vergessene Autorin; in M. Möller und E. Zühlke, 2002… zur Freiheit seid ihr berufen und andere mehr).

 

Es musste Quellen ausgewertet werden, die in unserem Archiv lagerten, aber auch im Archiv des Diakonievereins in Berlin und auch in Bad Blankenburg im Fröbelmuseum wurde eine wichtige Schrift gefunden.

 

Historisch (hier nur Schlaglichter) bewege ich mich in diesem ersten Kapitel zeitlich in den Jahren von 1890 bis 1915. Der Geburtsphase und der ersten Ausprägung unseres Hauses.  Einer Zeit, die Deutschland als Umbruchzeit verstanden werden kann. Politisch hatten wir kurz davor das 3 Kaiser Jahr 1888 (Wilhelm I, Friedrich III und nun war Wilhelm der II.) Kaiser und Bismark als Reichskanzler war entlassen. Der Kapitalismus war relativ ungebändigt; Krankenkassen, AOK, Unfallversicherungen gab es ab 1883 und ab 1891 gab es die  Rentenversicherung); die Landflucht war rasant (Mietshäuser wurden hochgezogen, Armut und  Straßenkinder wurden sichtbar, 12 Stunden Arbeit auch für Kinder wurde verlangt). Es bestanden sichtbar soziale Nöte und Ungerechtigkeiten.

 

Der Imperialismus und Kolonialismus (1880 bis zum ersten Weltkrieg)  blühte auf und das Deutschtum begann sich weiter zu formieren, war in aller Munde bis weit in kirchliche Bereiche hinein (Adolf Stöcker: Leiter der Berliner Stadtmission, im Reichstag, Pfarrer aber auch Unterzeichner der sogenannte Antisemiten-petition 1880/81 war einer von deutschen Antisemiten der Berliner Bewegung; er veranlasste die Petition an den Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck mit, die die Rücknahme wesentlicher Gleichstellungsgesetze (ab 1812)  für Juden verlangte.) 

 

Die Frauenfrage war auf der Tagesordnung. Helene Lange (1890 gründete sie in Friedrichroda den ADLV (Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein) mit Gertrud Bäumer waren sie unendlich aktiv und gaben das Handbuch der Frauenbewegung heraus. Unter anderem wegen Helene Langes Engagements durften 1896 erstmals sechs junge Frauen in Berlin die Reifeprüfung ablegen). Alice Salomon dachte Frauen, Bildung und soziale Arbeit zusammen. Sie prägte den Begriff „sozialpädagogische Diagnostik“ und entwickelte Instrumente dazu. Sehr intensiv gestritten wurde auch auf dem Feld der Kinderbetreuung. Fliedner hatte ab1834 mit den Kleinkinderschule und der Ausbildung von Kleinkinderlehrerinnen, übrigens auch hier im Diakonissenhaus in Kassel einen bedeutenden Schritt gemacht. Aber auch die Fröbelbewegung hatte sich formiert nach dem bis 1861 (Heerwart) der Kindergarten verboten war. Aber Bertha von Mahrenholz-Bülow und viele andere trugen die Kindergartenidee nach Europa und in die Welt. Fröbel kam im Doppelsinn durch die Frauen zur Welt. Staatliche geregelte Anerkennung der Vorschuleinrichtungen gab es noch nicht, Aufsicht jedoch schon, ebenso waren keine verbindlichen Lehrpläne vorhanden. Erst mit der Neuordnung des Frauen- und Mädchenschulwesen 1909 und dann ab 1912 für Kindergärtnerinnen gab es einen klaren Rahmen. Der Bundesverband Evangelischer Ausbildungsstätten wurde 1909 gegründet. (Erster Vorsitzender war Pfarrer Sardemann vom Kassel Diakonissenhaus…..“die Erwägung, dass die christlichen Seminare und Anstalten sich gegen den Ansturm liberaler, humanitärer, jüdischer und sozialdemokratischer Ideen zusammenschließen und stützen müssen“  war programmatischer Ausgangspunkt. (Protokoll der ersten Sitzung 1909).  Das Ev. Fröbelseminar war damals nicht dabei.

 

In die Kindergartengeschichte fließen aufgrund der sozialen Situation diakonische Verwahr- und  Bildungsvorstellung (Oberlin) ein, Fliedner bringt aus England 1834 die Kleinkinderschule (Wilderspin 1824 und Wertheimer 1826) mit und baut sie stark religionspädagogisch aus (1874 – Freiherr von Bissing-Beerberg gründet das „Oberlin-Seminar“ in Nowawes  (heute Babelsberg) bei Potsdam eine Ausbildungsstätte).

 

Fröbel bringt eine grundlegende pädagogische Konzeption (Menschenerziehung 1826) ein, die die Entfaltung des Menschen im Kontext von Natur und Gott in ein Sphäregesetz fasst und päd. Gaben, und Spielmittel und entwirf eine Spielpädagogik, die heute mehr denn je aktuell ist.

 

Er hat auch einen sozialpädagogischen Blickwickel und sieht die Bedeutung von Bildung der Kinder zunächst durch die Mütter, aber auch für die Mütter. Frauenbewegung,  Emanzipation und Frauenbildung, Beruflichkeit wie bei Schrader-Breymann „geistige Mütterlichkeit“ orientieren oder berufen sich darauf.

 

Nun zu uns - wir sind für knapp 5 Jahre in Ostfriesland

 

„Aus dem Berichte vom 17. des Mts haben wir von der Gründung eines Kindergärtnerinnen Seminars zu Emden Kenntnis genommen und halten uns aufgrund des Ministerialerlasses vom 13. November 1885 für ebenso berechtigt wie verpflichtet zur Beaufsichtigung diese Erziehungsinstitutes.

 

 Es stehen uns indessen Mittel zur Unterstützung nicht zur Verfügung und ob und in welcher Weise wir dem Herrn Minister über die Angelegenheit Vortrag halten können, hängt von der gedeihlichen Weiterentwicklung des erst begonnen Unternehmens ab. Absatz.  Emden den 17. Juni 1890. Unterschrift königliche Regierung in Aurich v. Hartmann.“ So heißt es in der Urkunde.

 

Die Trägergesellschaft  hieß in dem damaligen wieder zu Preußen zugehörigen Emden: Tot Nut vant allegemeen. Etwa „zum Nutzen der Allgemeinheit“ also eine Wohlfahrtsgesellschaft.

 

Ostern 1890 wurde in Emden unter Mitwirkung der Baronin Bertha von Mahrenholtz-Bülow (Fröbel-Schülerin, Fröbelpädagogin, Begründerin des Volkskindergartens 1862 und Verbreiterin der Fröbelpädagogik in Frankreich, Belgien Holland u.a.), eine "Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen" ins Leben gerufen. Im "Linger Wochenblatt" vom 27. März 1892 ist nachzulesen:

 

"Die Leitung der Anstalt ist Fräulein Johanna Mecke übertragen. Fräulein Mecke hat sich seit einer Reihe von Jahren als praktische Kindergärtnerin bewährt; sie hat an der unter Leitung der Frau von Marenholtz-Bülow stehenden 'Fröbelstiftung' zu Dresden ihre Ausbildung zur Vorsteherin eines Kindergartens erhalten; sie hat sich ein dementsprechendes vorzügliches, von der sächsischen Schulbehörde mitunterzeichnetes Zeugnis erworben; außerdem hat sie in Hannover ein Examen als Lehrerin bestanden. In einzelnen Fächern stehen Fräulein Mecke tüchtige Lehrer zur Seite" (zit. n. Berger 1992, S. 15).

 

Hanna Mecke stellte ihr Wirken ganz in den Dienst  Friedrich Fröbels und seiner Idee des Kindergartens, angeregt von Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow.  "Unvergesslich werden mir die Abende sein, an denen sie mich, ihre letzte Schülerin, von ihrem Ruhebette aus belehrte und mir die Richtlinien für meine Arbeit im Dienste Fröbels gab ... 'Sie werden Erfolg haben, denn auch Sie gehen von der Idee aus', sagte sie mir, wenn ich zagen wollte, ob Gaben und Kräfte auch ausreichen würden, zu dem, wozu sie mich spornte: der Gründung einer Bildungsanstalt, in der junge Mädchen der gebildeten Stände für ihre mütterlichen und sozialen Aufgaben vorbereitet werden sollten" (Mecke 1911, S. 218 f).

 

Unterstützt wurde das Vorhaben durch den dortigen Superintendenten (analog Probst) Raydt aus Lingen. Der brachte damals die christliche Orientierung ein. Er war aktiv in der Evangelischen Arbeiterbewegung und engagierte sich auch im regionalen Gustav Adolf Verein (gegründet 1832). Konsul Bernard Brons war Vorsitzende des ersten Kuratoriums (Von 1872 bis an sein Lebensende wirkte Brons als Diakon der Mennonitengemeinde, und er trug maßgeblich zum Ausbau der Emder Mennonitenkirche bei. Ebenso war er 1892 Mitbegründer der Comenius-Gesellschaft. Religiös stand Brons für ein dezidiert undogmatisches Christentum, das die Nähe zum Pantheismus nicht verleugnen konnte und in dem Bewußtsein lebte, „mit der Zeit zu gehen“.)

 

Damit gibt es deutliche kräftige ideengeschichtliche Wurzeln, von Bertha-Mahrenholtz Bülow und Hanna Mecke die klare Fröbelorientierung und die Idee des Volkskindergartens, den Kindergarten für alle, von Raydt und Brons kamen die christlichen diakonischen Werthaltungen und Orientierungen.

 

Untergebracht war das Seminar in der Klunderburg in Emden, mitten in der Altstadt von Emden (1944 zerstört), heute siehe Klunderburgstr.). Neben dem Kindergartenseminar gab es eine Höhere Töchterschule. Der Unterricht war in den nachmittags und Abendstunden. (Petroleumlampen, zusätzliches Geld)

 

Exkurs Höhere Töchter Schulen/Heime

 

Als Höhere Töchterschule, Höhere Mädchenschule bezeichnete man Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland eine Mädchenschule in manchen Regionen auch Lyzeum genannt), vergleichbar mit der Sekundarstufe I, also ab der fünften bis zehnten Klasse des heutigen Schulsystems im deutschsprachigen Raum.

 

Die erste höhere Mädchenschule Deutschlands wurde im Jahre 1835 durch Hermann Agathon Niemeyer in den Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) gegründet. Zuvor war die Erziehung von Mädchen eher privaten Bemühungen überlassen.

 

Es waren demnach Höhere Schulen für Mädchen, den damals sogenannten „Töchter“.

(Der Name Höhere Töchterschule wurde oft missverstanden als Schule für höhere Töchter)

Das Hauptziel  dieser Schulen war die Vorbereitung der jungen Mädchen auf ihre späteren häuslichen Pflichten als Gattin und Mutter. Wohlhabendere (groß)bürgerliche und adlige Familien, die sich ein Schulgeld leisten konnten und denen es um eine etwas ernster zu nehmende Bildung ihrer Töchter zu tun war, schickten sie deshalb lieber in private Bildungsinstitute oder Mädchenpensionate, die den Anforderungen einer „Höheren Schule“ eher gerecht wurden.

Töchter weniger gut gestellter Familien verließen die Höhere Mädchenschule häufig schon vorzeitig, sobald sie ihre Schulpflicht erfüllt hatten, weil andere häusliche Aufgaben auf sie warteten und Bildung in Bezug auf junge Frauen keinen hohen Stellenwert hatte.

 

Unser Ursprungs-Kindergartenseminar kam nicht so richtig in Schwung. Emden lag zu abseits. Es waren höchstens 16 Schülerinnen im Erziehungsheim.

 

„1895 kam es zur Übersiedlung nach Schloß Werdorf bei Gießen“,  heißt es lapidar in den wenigen historischen Beschreibungen.

 

Tatsächlich hatte Hanna Mecke, vermutlich in Dresden, Mathilde Zimmer bei gemeinsamer Schulzeit, kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Mathilde (Mathilde Zimmer Stiftung) war die Ehefrau des Friedrich Zimmer, Herborner Pfarrer und Leiter des dortigen ev. Predigerseminars.  Friedrich Zimmer ist auch Gründer des Berliner Diakonievereins (u.a. den handschriftlichen Lebenslauf von Hanna Mecke habe ich in Berlin im Archiv des Diakonievereins gefunden) und hat 1894 die Schwesternschaft des Evang. Diakonie-vereins ins Leben gerufen in die Hanna Mecke im Herbst 1895 eintrat. Sie wurde Verbandschwester aber sie trug nie die Schwesterntracht.

 

Das Kuratorium in Emden stimmte dann der Verlegung nach Werdorf bei Gießen zu. Aus „tot nut vant allgemeen“ wurde Comeniushaus (Einfluss Brons) und am 1.4.1895 begann es mit dem Töchterheim, einer Töchterschule wie oben dargestellt. Das Haus in Werdorf bei Gießen gehörte zum Diakonieverein. Hanna Mecke war nun auch der Entwicklung im Rahmen der Diakonie ausgesetzt.

 

In Werdorf gab es allerdings auch Probleme für Hanna Meckes Pläne: erstens wollte sie gern wieder ein Kindergärtnerinnenseminar führen und zweitens war auch in Werdorf das gleiche Problem wie in Emden. Es kamen zu wenige Personen dorthin und dann hatte Friedrich Zimmer sehr speziell die ausgebildeten Töchter in seiner Aufmerksamkeit, nämlich als möglichst gut ausgebildete Frauen für seine Pfarramtskandidaten.

 

Beide sind sich allerdings im Grundgedanken einig, dass Frauen Bildung brauchen. Damals hieß aber noch so: „Junge Mädchen durch Arbeit für die Gemeinschaft zu Verantwortung fühlenden Persönlichkeiten zu erziehen.“

 

Ein Jahr später geht Johanna Mecke mit  dem Töchterhaus nach Kassel. Der Name Comeniushaus bleibt bestehen, sie ist die Vorsteherin. In Kassel gab es allerdings schon ein Töchterheim des Diakonie-vereins in der damaligen Hohenzollernstraße, es hatte den Namen Luisenhaus. Das Werdorfer Heim war also das zweite des Diakonievereins in Kassel. In Werdorf gab es weiterhin ein Seminar für Lehr- und Wirtschaftsdiakonie. Das Töchterheim und das Seminar ergänzten sich. In 1996 wurden die Einrichtungen getrennt. Das Lehr Seminar aus Werdorf ging in das Luisenhaus in Kassel:

„Das Heim in Kassel legt den Schwerpunkt auf die Unterweisung in Hauswirtschaft, das andere (Schloss Werdorf) die Ausbildung in der Erziehungstätigkeit. Dieser bietet die Vorzüge städtischen, die des andern des Landlebens. In beiden ist durch die gegenseitige Ergänzung von Umgebung und häuslicher Ausbildung dafür gesorgt, dass Reales und Ideales gemeinsam zu ihrem Rechte kommt. Beide haben die gleiche Kursdauer von zwei Semestern.

Der Platz im Luisenhaus, heute Friedrich Ebert Straße (übrigens ab 1871 Hauptgeschäftsstraße), war zu eng und so wechselte  der Zweig der erzieherischen Ausbildung  in die Amalienstraße. Wie gesagt, heißt  das Haus von Hanna Mecke Comeniushaus weiter; in der Luisenstraße übernahm Diakonieschwester Katharina Wittenburg.

 

1998 hat der Central Ausschuss des Evangelischen Diakonievereins beschlossen das Comeniushaus in die Emilienstraße zu legen. Hanna Mecke war weiterhin Leiterin nun mit eigener Wirtschaft und Buchführung. Das Töchterheim entwickelte sich konzeptionell und auch quantitiv sehr erfolgreich und es musste ein neues Haus gesucht werden, das man in der Kölnischen Allee in Kassel fand. Es wurde nicht nur ein Kindergärtnerin Seminar betrieben sondern auch ein Lehrerinnenseminar. Das Lehrerinnenseminar ging 1903 nach Bonn und gehörte nicht mehr zum Diakonie-verein (bis 1914 aufgelöst). Hanna Mecke blieb ab 1903 engagiert in dem Haus, verstärkte die Ausrichtung auf die Fröbelpädagogik und fand dabei hohe Anerkennung in der Öffentlichkeit. Friedrich Zimmer hatte Bedenken speziell zur Ausrichtung nur auf die Fröbelpädagogik und so wollte er die Töchterausbildung und die Kindergartenausbildung voneinander trennen. Sie legt dann die Leitung des Comeniushauses nieder (1903/1904) und führte die ganze Arbeit als Ausbildungsstätte für Kindergärten mit dem Namen Fröbelseminar weiter.

 

Es gab mehrere Stationen oder besser gesagt Orte  in der Zeit in Kassel an dem das Fröbelseminar aktiv war: in der Mosental-straße, in der Parkstraße 1903 und schließlich war das Haus in der Lessingstraße 5 (Neubau) von 1906 bis 1943 der Ausbildungsort und ab 1929 kam ein Kindergarten nahe am Tannenwäldchen in der Dingelstedt-Straße (als Ausbildungsbetrieb) hinzu. Die letzten Stationen vor der Lessingstraße waren teilweise wie gesagt nur Auslagerungen, weil das Seminar sich ausprägte und vergrößerte.

 

Nach der historischen Beschreibung von Erich Freudenstein übereignete Hanna Mecke das florierende Fröbelseminar dem Evangelischen Diakonieverein zurück. Es gehörte ihr zwischendrin. 1905 wurde aus dem Fröbelseminar das Evangelische Fröbelseminar. Im Ehrenamtlichen Kuratorium (seit 1903) waren neben Pauline Gruß einer bedeutenden Lehrerin aus dem Seminar auch wiederum der Konsul Brons aus Emden, der Superintendent Raydt aus Lingen und die Frau des preußischen Staatsminister und späteren Kultusminister von Trott zu Solz (der Sohn: Adam von Trott zu Solz (hingerichtet 1944) aber auch Eleonore Heerwart, die Gründerin des Fröbelvereins 1863, Paula Müller die Vorsitzende des Evangelischen Frauenbundes und Marie Loeper-Housselle,  Vorsitzende des Lehrerinnenverbandes und herausragende Vertreter weiblicher Schulbildung sowie andere wichtige regionale Größen. Ab Oktober war das Evangelische Fröbelseminar staatlich konzessioniert

Das Evangelische Fröbelseminar war in Kassel, in der Evangelischen Kirche und darüber hinaus in Deutschland bekannt und maßgebend. Die Ausbildung war ab 1903 staatlich konzessioniert und ab 1912 staatlich anerkannt. In Kassel gab es außerdem die Ausbildung zur Kinderlehrerin im Diakonissenhaus und eine städtische Ausbildungseinrichtung für Kinderpflege, die damals zum Verband der Fröbelschen Kinderplegeschule angehörte.

 

 Bis 1912 war Hanna Mecke Leiterin, danach kam für 3 Jahre eine Doppelleitung mit Hulda Schimmack und Pfarrer Heusser.

 

Ab 1915 kam Oberin Frida Dierks, die mit Unterbrechung von 1941 bis 1946 bis 1951 Leiterin war und übergab dann an Professor Erika Hoffmann bis 1966.

 

Hanna Mecke hat die Grundlagen geschaffen:

  • Eine staatl. anerkannte Frauenschule, verbunden mit einem Erziehungsheim (als Reformpensionat).
  • Kurse für Kindergärtnerinnen und Volkserzieherinnen zur Vorbereitung für berufliche Tätigkeit in Familien (Erziehung und Unterricht von 1 - 9 Jahren).
  • Kurse für Jugendleiterinnen, zur Arbeit im Kindergarten, Heimgarten, Kinderhort, Krippe, Waisenhaus, Krüppelheim und anderen Wohlfahrtsanstalten, zur Arbeit in Frauenschulen.
  • Kurse für Kinder-Krankenpflege-rinnen.
  • Kurse für geprüfte Lehrerinnen zur Tätigkeit in Frauenschulen zur Erteilung des Werkunterrichts in Schulen
  • Ferienkurse für Lehrer und Lehrerinnen: a) zur Einführung in die Fröbelsche Pädagogik; b) für soziale Arbeit.
  • Pädagogische Kurse für junge Mütter.
  • Säuglingshort, Kindergärten, Kinderhort, Heimgruppen, Fröbelschule für 6 - 9jährige Knaben und Mädchen.
  • Stellenvermittlung für Kindergärtnerinnen und Jugendleiterinnen.

Eine komplizierte Geburtsgeschichte und der letztliche Name paßt. Evangelisch, Fröbel und Seminar mit ausgeprägten diakonischen sozialpädagogischen Grundwerten.

 

 

 

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Wanderungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

E. Zühlke, August 2018

 

"So kommen wir keinen Schritt weiter"

 

 Wandern, Pilgern und Entdecken

auf der Suche nach Eudaimonia

 

Von El Alamein am Rande der libyschen Wüste nach Gizeh

 

Im heiligen Land..von Jerusalem nach Haifa

 

Die Jeans Route...vom Libanon, über Zypern in die Türkei

 

Von Antalya, Mersin, Adana, Iskenderun, Aleppo

 

Zur höchsten Düne der Welt Sossusvlei…durch die Geisterstadt in der Namib

 

Samaria Schlucht, Matala, Agia Galini, Lasithi Hochebene und Spinalonga und Kournas See auf Kreta

 

Der heilige Olav…auf den Spuren von Olav in Levanger, Verdal, Stiklestad und Trondheim

 

Vom "Casa de los tres Mundos" (Nicaragua) zum Pazifik

 

In den Hochanden Cuenca..vom Hutmuseum über Quito nach Guyaquil

 

Von Colon nach Panama City..auch vor Columbus lebten Menschen hier

 

Indonesien: von Jakarta über Bandung nach Bali; nachts am Rande des aktiven Vulkans

 

Wandern am Dujiangyan-Bewässerungssystem nahe Chengdu

 

Entlang der chinesischen Mauer nördlich von Peking

 

Yamagata, Hakone und Fuji…die Entdeckung der Torii; Präfektur Miyagi, Sendai, Fukushima, Tokio

 

Auf den Spuren des Lebens der Kinder von Torremolinos, Andalusien

 

Wege der  Mauren in Andalusien…Alhambra und Sevilla; von Benalmadena über Marbella nach Gibraltar

 

im Südwesten Australiens; von Perth über Margarete River fast bis Augusta

 

 

 

 

 

 

Eckehard Zühlke, Januar 2018


Fröbel, Bauhaus: Abstraktion und Strukturen

 

In diesem Forschungsvorhaben geht es um die Herausarbeitung von Fragen und Bezügen einer möglichen Verbindung der Pädagogik Friedrich Fröbels und dem Denken und Agieren in Strukturen am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin.

  • Das Bauhaus vor seiner Gründung: Warum Kunst sich mit dem Handwerk verbinden sollte. Eine Meisterschule des Handwerks wollte das Bauhaus sein.
  • Gropius und sein Auftrag eine Fröbelausbildungs- und Forschungsstätte in Bad Liebenstein zu entwerfen
  • Wassily Kandinsky im Fröbelkindergarten in Florenz. Bezüge zu B. von Mahrenholtz-Bülow 1871
  • Kandinsky und Gabriele Münter, der Einfluss des „blauen Reiters“
  • Die Bedeutung der Vorkurse im Bauhaus: Das reformpädagogische Konzept von Johannes Itten: Freiheit, Struktur und Farbkonzept
  • Punkt, Linie zu Fläche: Fröbel und Kandinsky
  • Der Konstruktivismus: Einfluss von Künstlern aus Russland aber insbesondere jedoch von „de Stijl“ Piet Mondrian und stark durch Theo van Doesburg
  • Nicht alle Frauen waren in der Weberei und „hingen am Faden“. Alma Siedloff-Buscher: Kinderzimmer und Spielzeugentwicklung im Bauhaus nach Fröbel
  • Konstruktivist László Moholy-Nagy folgt Johannes Itten (Streit um Mazdaznan)
  • Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe: konzeptionelle Ausrichtungen unter den 3 Direktoren von 1918 bis 1933

 

 

 

 

Karl August Stucke

Karl August Stucke

ein zugewandter Mensch und Pädagoge

 

Karl August Stuckes Leben wurde stark geprägt durch die Natur und das Aufwachsen auf dem Lande nahe der Weser in Veltheim. Mit 20 Jahren hat er schon das Lehrerexamen am königlichen Seminar In Unna (1914) absolviert und musste in den ersten Weltkrieg ziehen und war an der Westfront im Stellungskampf gegen die Franzosen und Engländer. Neben allem Leid liest er viel in der Zeit;  unter anderem das Tagebuch einer Verlorenen, von Margarethe Böhme 1905. In seinem Tagebuch aus dem Krieg, kann man gut erkennen, dass er Deutungsmuster zum sozialen Verstehen und der Mitmenschlichkeit aufbaut, die seine Persönlichkeit bestimmen. Wechselvolle Zeiten durchlebt er  in der Weimarer Zeit mit Luise und den beiden Töchtern. Luise, aus sogenannten höheren Kreisen, hatte ebenfalls studiert und setzte sich u.a. für die Rechten von Frauen ein. In der Familie herrschte ein liberales Klima, der Schriftwechsel zwischen ihnen lässt darauf schließen.

Pädagogische Ausbildung und christlicher Glauben mit diakonischer Ausrichtung bringt ihn zu jungen Menschen mit Beeinträchtigungen. Er interessiert sich für Falttechniken, Papparbeiten, Fröbelpädagogik und macht das Hilfsschullehrerexamen und wird 1930 Schulleiter einer Ev. Schule in Bochum Gerthe. In der Familie  von Luise gibt es den Paul. Er war in rechten Szene aktiv und nach ihm wurden Straßen und auch eine Schule benannt. Paul wurde am 5.2.1933 in Bochum auf dem Weg nach Hause erschossen. Karl August Stucke erlebte verunsichernde Zeiten. Hilfsbedürftige Menschen wurden zu unwertem Leben erklärt. Wie damit umgehen in den Zeiten auch mit dem, was auf Paul P. Ermordung folgte? Wer nicht mitmachte konnte schnell gefoltert oder ermordet werden. Auch die Kirche in Bochum war davon arg betroffen (Kirchenkampf im Ruhrgebiert). Karl August Stucke hielt durch und machte seine pädagogische Arbeit so lange weiter, bis das Kriegsgeschehen es nicht mehr ermöglichte.

Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete er im Bergwerk und konnte nicht so entnazifiziert werden, dass er wieder in den Schuldienst konnte. Warum? Alle offiziellen Verfahren scheiterten, erst über die Sichtung der Akten der Entnazifizierungsstellen, stellte sich heraus, dass er wegen Paul aus der Familie seiner Frau in Sippenverantwortung gezogen wurde. Über eine Sonderregelung hat er es schließlich (1950) in den Schuldienst wieder geschafft.

 

1. Veltheim..." ich kann mit einem Stein fast über die Weser werfen"

2. religiöse und humanistische Ausbildung und Prägung; Studium und Abschluss als Lehrer am königlichen Seminar in Unna (1914)

3. Im Krieg an der Westfront und die Bedeutung des  "Tagebuchs einer Verlorenen"

4. im wahrsten Sinne: Hilfsschullehrer

5. Schulleiter einer Ev. Hilfeschule (Fröbelschule) ab 1930 in Bochum Gerthe

6. eine pädagogische und emanzipierte Familie: Luise, August und die beiden Mädchen

7. Zwischen unwertem Leben und humanistischen und christlichen Überzeugungen

8." Der schlimme Paul" , seine Ermordung und die Folgen mit Bezug zum Kirchenkampf im Ruhrgebiet

9. "Du bist nicht mehr dabei" ..Entnazifizierung und Sippendenken.

10. "Wäre es Ihnen nicht möglich, Frau Kultusministerin, meinem Vater zu helfen?"

11. Im Dienst für Kinder mit Beeinträchtigungen

12. Nachlese: Erkenntnisse, Respekt und Trauer

 

(wird demnächst veröffentlicht)

 

Chengdu

Im Gespräch mit Prof. Wei Zhang in Chengdu



Nächstenliebe auf Chinesisch

 am Beispiel vom Hua Ren Social Work Development Center

  

(成都市锦江区华仁社会工作发展中心), Chengdu

Im Kontext  des Besuchs der Sichuan Universität im April 2014 hatten wir Kontakt zur Professor Wei Zhang (Soziale Arbeit) und zu Professor Yan (Kindheitspädagogik). Unser besonderes Interesse galt zunächst den Ausbildungsgängen für Sozial- und Kindheitspädagogik der Sichuan Universität um Formen der Zusammenarbeit auszuloten.

  

 Im Vorfeld des Besuchs fanden vielfältige Absprachen mit dem IJAB (Fachstelle für den internationalen Jugend- und Fachkräfteaustausch) und den beteiligten Personen aus Chengdu und Kassel statt. Es wurde ein Programm für den Besuch in Chengdu verabredet, das neben dem universitären Ausbildungsgängen auch einen Einblick in die sozialpädagogische Praxis gewährt. So lernten wir neben einem Kindergarten, einer integrativen Grundschule auch das Hua Ren Social Work Development Center in Chengdu kennen und konnten über eine Besichtigung und Teilnahme an Gesprächskreisen eine hochinteressante vermutlich einmaliges nicht-staatliches Praxismodell für die Begleitung von Familie und Kindern inklusive Beratung von Fachkräften kennenlernen.

     

 Im Januar 2013 gründete Professorin Wie Zhang mit ihrem Mann, Ximing Chen, das Chengdu Hua Ren Entwicklungszentrum für Soziale Arbeit. Das Wort „Hua“ bedeutet „chinesisch“, „Ren“ bedeutet „Nächstenliebe“. „Ich will mit dem Entwicklungszentrum für Soziale Arbeit den geeigneten Weg finden, chinesische Nächstenliebe in der Praxis umzusetzen“, sagte Frau Zhang in einem Gespräch.

    „Es sollen vor allem die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und der Familien im Vordergrund gestellt werden. Wenn man in China von Erziehung spricht, denkt man nur an die Schulbildung. Die Eltern, Kinder und Lehrer sind viel zu sehr auf die Schulleistungen fokussiert und der Leistungsdruck der Kinder ist hoch.“ Oft wissen die Eltern nicht, wie sie mit dem Druck von Seiten der Lehrer umgehen sollen und geben diesen weiter an die Kinder. Dieser Teufelskreis verursacht viele Familienprobleme. „Ich will die Sozialpädagogik als dritte Erziehungs- und Bildungsinstitution neben Familienerziehung und Schulpädagogik in China etablieren und aufbauen, um die Sozialisierungsfunktion der Familien zu ergänzen und zu unterstützen. Also die Lücke der Sozialpädagogik in China füllen“, so Zhang.

 

     

Das erscheint mir als eine historisch bedeutsame Pionierarbeit auf dem Gebiet der sozialen Arbeit in China. Die Einrichtung wird aus privaten Mitteln der Gründer finanziert.

    

 Unsere Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel,  hat bei ihrem Besuch im Sommer 2014 diese Einrichtung ebenfalls besucht, ohne dass dieses Ereignis besonders in der Öffentlichkeit erwähnt wurde. Ich sehe im Besuch von Frau Merkel eine hohe Anerkennung einer ausgewöhnlich kompetenten, notwendigen und engagierten Arbeit des gesamten Teams des Hua Ren Development Centers.

    

 Herr Chen sagt zu seinen Motiven für das soziale Engagement, das „die Familienerziehung in China sehr schwach ausgeprägt ist oder ganz fehlt.“  Dieses Problem ist nach seiner Auffassung sehr groß und wenig transparent und zeigt sich beispielsweise in negativen Entwicklungen für Kinder, schwierigen Familienbeziehungen  und letztlich der Stabilität in der Familie.

    

     

 An den Kindern werden oft die Probleme einer Familie deutlich. Es sind aber nicht die Probleme des Kindes, sondern das Kind  „präsentiert“ es. „Wir nehmen das gezeigte Problem als Ausgangspunkt für unsere Arbeit und als Zugang zur ganzen Familie“ führt er aus.

 

 

 „Wir wollen die Konzepte und die Praxis der Sozialpädagogik mit chinesischen Verhältnissen, Kultur und Denk- und Verhaltensmerkmalen verknüpfen, erproben und erforschen. Frau Zhang möchte mit Praxisforschungsansätzen ihre gewählten Ansätze der sozialen Arbeit erforschen und ihr ist auch wichtig, dass  die sozialen Dienstleitungen für Kinder und Familien  kostenlos bleiben. Für ihre Studierenden aus dem Bachelor und Masterstudiengang der Sichuan Universität  bieten sich im Hua Ren Development Center auch gute Praktikumsplätze. Ihr ist aber auch bewusst, dass noch einige Brücken zu bauen sind. Gerade auch zur Regierung und Verwaltung und zur Hochschule. Sie möchte über dieses Modell auch eine Plattform für einen Fachaustausch auf nationaler und internationaler Ebene ermöglichen.

 

         

  Was wird nun im Hua Ren Entwicklung Zentrum tatsächlich gemacht und welche Ziele und Methoden sind wichtig?

     

  Ausgangspunkt der sozialen Arbeit ist die Familie. Kinder zeigen oft Schul- oder Leistungsprobleme, die oftmals im Kontext von Familien entstehen. Die dortigen Beziehungen zwischen den Eltern, oder Eltern und Kind sowie zu anderen Subsystemen bedingen den psychosozialen Zustand des Kindes. Es ist eine sozialökologischer Verstehenshintergrund. Die theoretische Grundlage für diesen Ansatz legte in den 1980er Jahren der Entwicklungspsychologe und Sozialökologe Urie Bronfenbrenner. Er geht von der Annahme aus, dass sich die menschliche Entwicklung vom Individuum selbstbestimmt und eigenaktiv in einem ständigen Auseinandersetzungsprozess mit seiner Umgebung vollzieht.

  

  In Vortragsveranstaltungen in Schulen oder auch auf Elternabenden wird dieser Ansatz den betroffenen Eltern vermittelt. Ebenso werden die Studierenden mit diesem sozialpädagogischen Ansatz im Studium vertraut gemacht, so dass sie ihre Praktika kompetent in der Einrichtung mit praktischen Erfahrungen bereichert durchführen können. Die Masterstudenten lernen zusätzlich Konzepte der Familienberatung und Gesprächsführung und können schon aktiv und selbständig allerdings an Supervision gebunden im Familienzentrum mitwirken. Neben der Beratung von Familien gibt es außerschulische Erziehung und Hausaufgabenhilfe, Bewegungserziehung, Eltern- und Kindergruppen.

 

 Die Familiengruppen sind besonders wichtig. Hier wird an konkreten Situationen gearbeitet und gemeinsame Lösungen entwickelt. Ansätze und Methoden der systemischen Familienberatung werden hier angewandt

      

 Letztlich kommt es darauf an, die Kinder und deren Familien selbstbewusster zu machen und die konstruktiven Potentiale zu stärken.

 Beispiele: Eine Patchwork-Familie: Frau H., 36 Jahre alt, hat in der ersten Ehe einen Sohn geboren und nach der Scheidung wiedergeheiratet. In der zweiten Ehe bekam sie eine Tochter. Der Sohn ist heute 11 Jahre alt. Die Mutter sucht im Hua Ren um Hilfe wegen folgender “Probleme” ihres Sohns: schlechte Schulleistungen, kann sich nicht konzentrieren beim Lernen, kein Selbstbewusstsein. Er macht sich sehr von Mutter abhängig.

Die Mutter und ihr Sohn haben 3 Angebote von Hua Ren in Anspruch genommen. Zunächst  besuchen sie einen Abendkurs für die Kinder (Verhaltenserziehung inkl. Hausaufgabenhilfe) von Montag bis Freitag jeweils abends für 2 Stunden. Die Mutter arbeitet dort ehrenamtlich. Weiterhin nahmen sie an einer Familiengruppe einmal in der Woche teil, in der es um Klärung, Aufarbeitung und Reflexion der Mutter-Kind-Beziehung und deren Kommunikation ging.  Die Beziehung sollte verbessert werden, so dass eine zunehmend tragfähige Bindung zwischen Kind und Mutter sich wieder herstellen. Schließlich nahm der Sohn an der Kindergruppe (jeden Samstag) teil. Bachelorstudenten übernehmen diese Arbeit. Hier sollen über z.B. Sport- und Spielaktivitäten Selbstbewusstsein und soziale Kompetenzen der Kinder gestärkt werden.

 Nach einem halben Jahr, so die Mutter, hat sich viel geändert in ihrer Wahrnehmung des Jungen, vor allem durch die Selbstreflexion. Die Mutter meint, dass die „Wand zwischen den Beiden“  verschwunden ist und sie jetzt herzlich dem Kind zuhören kann und seine Gefühle wahrnimmt und fühlt sich erheblich erleichtert. Das Kind ist fröhlicher und selbstbewusster.

     

 Am Beispiel einer Wanderarbeiterfamilie: Die Eltern kommen vom Land und leben seit einigen Jahren in Chengdu. Sie haben 2 Kinder: einen Sohn, 8 Jahre alt und eine Tochter von 6 Jahren. Der Vater hat im Hua Ren Beratung wegen Verhaltensauffälligkeiten   seines Sohnes gesucht:

  

 Er bringt keine guten Noten nach Hause und hat kein Selbstbewusstsein. Der Berater von Hua Ren hat Einzel-, Paargespräche geführt und auch mit dem Kind gesprochen. Der Berater hat erfahren, dass der Vater häufig seinen Sohn beschimpft und auch geschlagen hat und zwar auch dann, wenn er selbst schlechte Laune hatte oder die“ Geschäfte nicht gut liefen“. Er selbst wurde in der Kindheit oft von  seinen Eltern geschlagen. Er sagt seinem Sohn oft, dass die Familie vom Land kommt, er fleißig lernen sollte, damit er als ländlicher Mensch nicht niedrig angesehen wird.

 

    Hua Ren hat diese Familie folgendermaßen begleitet:  Die Familie wurde intensiv beraten. Auch wurden Ratschläge für eine gewaltfreie Erziehung gegeben. Das Kind hat am Verhaltenserziehungskurs teilgenommen. Ein Berater (ein Masterstudent) hat eine enge Beziehung zu der Familie aufgebaut und das Kind oft zu einer Buchhandlung begleitet, um Literatur zum Lesen zu besorgen. Das Kind malt auch gerne. Der Berater hat für das Kind  eine eigene Bilderausstellung im Hua Ren  organisiert, um seine Stärke zu stärken und sein Selbstbewusstsein zu steigern.

 Eines Tages hat das Kind hat zum ersten Mal die beste Note in seiner Klasse und die Eltern sind sehr überrascht und dankbar. Das Kind ist fröhlich und glücklich darüber geworden. Sein Vater hat gelernt, dass über Gewalt nichts zu erreichen und  will seinen Sohn nie wieder schlagen.

 

Die Lebenswelten von Familien in China sind sehr komplex und im Wandel begriffen. Diese zu verstehen und die Auswirkungen auf Kinder zu erfassen verlangt eine umfassende Betrachtung. Familien sind herausgefordert durch:

   -          Durch einen  starken Modernisierungsschub in Wirtschaft und Technik, aber auch im Alltagsleben (Medienwelten),

  -          diese Entwicklung ist regional sehr unterschiedlich und differenziert sich nach Regionen und Stadt und Land

 -          die traditionelle Bedeutung der Familie (Konfuzius) und ein modernes Zusammenleben sind nicht immer passend;

 -          der Einfluss der Medienwelten ist stark, insbesondere bei der jungen Generation

 -          die Arbeitssituation  von Frauen und Männern hat sich verändert. In China gibt es über 200 Millionen Wanderarbeiter,

 -          die Betreuung und Erziehung von Kindern ist gesellschaftlich gut geregelt. Kindergärten, Vorschule sind vorhanden und auch zunehmend integrative Schulen. Fachkräfte dafür haben einen guten Bildungsstand. Wie steht es mit der Erziehung in der Familie?

 -          Die Familienpolitik hat sich ab 2003 von der Ein-Kind-Familie abgekehrt. In bestimmten  Familienkonstellationen sind mehrere Kinder möglich

 -          Die Mehrgenerationenfamilie gibt es zunehmend weniger. Was passiert mit alten Menschen? Wie gehen Jung und Alt zusammen?

      -          U.v.m.

 Es gibt im Kontext von „Sozialer Arbeit“ bezogen auf die Lebenswelten von Familien  noch viele offene Fragen, die speziell erforscht und untersucht werden müssten. Die Forschung in der Sozialen Arbeit scheint mir wichtig zu sein um Erklärungen  zu finden, um letztlich Begleit - und Unterstützungsansätze für Familien und Kinder zu entwickeln, die in chinesische Verhältnisse passen. Aus meiner Sicht ist gerade deswegen der direkte Bezug der Sichuan Universität zum Hua Ren Development Center von besonderer Bedeutung und beispielhaft.

  

Wir wollen den  Kontakt nach China ausbauen, vertiefen und vor allem durch gemeinsame Fachtagungen und Begegnungen die Arbeit vom Hua Ren Development Center unterstützen. Dazu können Fachdozenten aus China zu uns kommen, und unsere Fachausbildungen auf verschiedenen Ebenen und die vielfältigen Formen und Ausprägungen von Familienzentren kennenlernen.

 

 


Japan, Kindheitspädagogik

 Japan – Lebenskompetenzen1 von Kindern fördern
Versuch einer Annäherung
Eckehard Zühlke
(Teil I)
„Eigentlich“ ist es mein Wunsch, Japan und das, was wir über Kinder und deren
Lebenssituationen, deren Erziehung und Bildung erfahren haben, mehr zu verstehen. Meine
Eindrücke möchte ich nicht nur vor mir haben, sondern sie mehr ordnen, zuordnen und
strukturieren können.
Eine Gruppe von Fachkräften aus Forschung, Praxis, Beratung, Aus- und Fortbildung reiste
im Mai 2008 auf im Rahmen eines Fachkräfteaustausches des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (organisiert durch IJAB) nach Japan. Unter
der Überschrift „Lebenskompetenzen von Kindern fördern“ wurden vor Ort Einrichtungen für
Kinder in unterschiedlichen Kontexten, Verbände, Forschungsbereiche und anderes mehr
besucht. Vorträge ergänzten die Erfahrungsebenen und es entstanden erste Bilder über das
japanische Erziehungs- und Bildungsverständnis und viele Fragen.
Es ist nicht nur die wissenschaftliche Ebene von Erkenntnissen der Kindheitsforschung in
Europa z. B. um das postmoderne, höchst individuelle Kind herum, die befragt werden kann
und muss. Es ist das Fragen und Verstehen aus unserem Horizont heraus, das nicht
angemessen in den Dialog gelangte. Manche Fragen von uns an die Wissenschaftler und die
Praktiker in Japan blieben unbeantwortet, manche Antworten für uns unverständlich.

 

https://www.ijab.de/fileadmin/user_upload/documents/PDFs/Japan_OUT_Systeme_und_Methoden_fr%C3%BCher_F%C3%B6rderung_2008.pdf

 


Nicaragua

Fachaustausch mit dem Deutschen Kindergarten der der Deutschen Schule in Managua und der Universität Managua.

Besuch und Hospitation in Granada (Nicaragua) im Casa de los tres mundos